Die Rache der Medica (Die Medica-Reihe) (German Edition)
Die meisten Männer, Frauen und Kinder hatten schon an den langen Tischreihen ihren Platz gefunden, außer denjenigen, die weitere Speisen vorbereiteten oder bedienten oder draußen auf der Wehrpalisade Wache halten mussten; sie würden später abgelöst werden. Die Anwesenden warteten gespannt darauf, dass die drei Ehrenplätze neben dem Grafen eingenommen wurden, damit das Bankett beginnen konnte. Das wollte sich Bruder Thomas, obwohl er durch den Blutverlust und die Schmerzen geschwächt war, natürlich nicht entgehen lassen. Berbelin half ihm auf seinen Sitz und hockte sich neben ihn. Chassim war bei Annas Anblick aufgestanden und geleitete sie an den Platz zur Rechten seines Vaters. Als endlich alle saßen, trat vollkommene Ruhe ein, weil Claus von Greifenklau aufstand und um Aufmerksamkeit bat.
»Mein Sohn und seine Begleiter haben uns sicher eine ganze Menge zu erzählen, und wir alle sind mehr als gespannt darauf, was er erlebt und wen er uns mitgebracht hat. Aber das hat noch Zeit. Ich habe so lange auf seine Rückkehr gewartet, da kommt es jetzt auf ein paar Stunden auch nicht mehr an. Hauptsache, er ist wieder hier.«
Jubel und Beifall brandeten auf. Chassim war gerührt und freute sich gleichzeitig über die große Zuneigung, die ihm zu Hause entgegenschlug, das sah ihm Anna an. Er erhob sich, nahm seinen Becher, der mit Wein gefüllt war, und stieß mit seinem Vater an. »Auf deine Geduld, Vater. Und danke für deine Worte und euren herzlichen Empfang!« Er stieß auch noch mit Anna und Bruder Thomas an, dann hob er den Becher grüßend in die Runde. »Esst und trinkt, Leute, so viel ihr könnt! Auf euer Wohl und das Wohl unserer neuen Medica, ohne deren Heilkunst ich jetzt nicht mehr unter euch weilen würde!«
Und dann, Anna mochte es kaum glauben, standen sie alle auf, sogar Bruder Thomas, schweigsam und ehrerbietig. Man hörte gerade das Rascheln der Kleidung und vereinzeltes Bankrücken auf dem Steinfußboden. Nur ein kleines Kind plärrte, wurde aber an der Brust seiner Mutter schnell beruhigt. Es war mucksmäuschenstill, als alle Anwesenden respektvoll ihre Trinkgefäße in Annas Richtung hoben und warteten, bis Anna ebenfalls aufstand. Erst dann nahmen sie alle einen feierlichen Schluck auf ihr Wohl, als wäre es eine liturgische Handlung. Anna wusste nicht, was sie in diesem Augenblick sagen sollte. Sie glühte vor Aufregung und Schüchternheit, und gleichzeitig konnte sie nicht fassen, was da geschah. Noch nie hatte sie erlebt, dass ihr so große Anerkennung und Wertschätzung zuteilwurde. Gott sei Dank spürte Claus von Greifenklau ihre Befangenheit und klatschte zweimal für die Musikanten in die Hände, worauf die Musik einsetzte und die Spannung löste. Das Fest nahm seinen Lauf.
IV
S päter, viel später, es dämmerte schon, konnte Chassim dem alten Grafen endlich erzählen, was sich seit seiner Abreise im Sommer nach Oppenheim zum Turnier auf Burg Landskron zugetragen hatte. Chassim saß mit seinem Vater noch allein am Kaminfeuer – alle anderen hatten sich bereits müde, erschöpft, teils betrunken und übersatt zum Schlafen gelegt. Nur in der Küche klapperte es, weil noch ein unermüdlicher Helfer aufräumte, Jeronimus, der Knochenhauer, ein untersetzter, kräftiger Bursche in den Zwanzigern, der nicht nur beim Schlachten ein Meister war, sondern auch zuständig für die Herstellung von Schweinswürsten und das Haltbarmachen von Wurst und Fisch durch Räuchern. Jeronimus hatte sich nicht aus reiner Hilfsbereitschaft zum Auf- und Abräumen der Überreste des nächtlichen Festes und Gelages in aller Herrgottsfrüh bereit erklärt. Er war dadurch – auch weil er den Eindruck erweckte, besonders pflichteifrig und fleißig zu sein – unauffällig in der Lage, mit anzuhören, was Chassim mit seinem Vater zu besprechen hatte. Und das war eine ganze Menge an wichtigen Neuigkeiten. Jeronimus beglückwünschte sich dazu, den Küchendienst in weiser Voraussicht freiwillig auf sich genommen zu haben. Nicht nur erhoffte er sich eine Belohnung fleischlicher Natur bei der Küchenmagd Fronica, deren Dienst er übernommen hatte und von der er nicht die Augen lassen konnte, wenn sie mit hochgekrempelten Ärmeln und hochgesteckter Schürze schwitzend in der dampfig heißen Küche herumhantierte. Auch die Dankbarkeit des Erzbischofs Konrad von Hochstaden für seine Informationen dürfte sich diesmal in noch mehr klingender Münze auszahlen als sonst, wenn Jeronimus gewöhnlich einmal im halben
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