Die Rache Der Wache
schmiegte sich an ihn, legte die Hände um ihn. Er spürte die Münze und nahm sie ihr widerstandslos aus den Fingern. Ihre Lippen streiften seine. »Mein Name ist Ischade.«
2
Eine Leiche war kein ungewöhnlicher Anblick im Labyrinth. Aber diese lag mitten auf dem Schlangenweg in den ersten Strahlen der Morgensonne. Der Küchenjunge des Einhorns entdeckte sie, als er die Abfälle ausleeren wollte, gar nicht weit vom Eingang. Sie war steif und kalt und die eines blonden Mannes, den er kannte — Sjekso Kinzan! Er drehte sich auf dem Absatz, um zurück ins Haus zu laufen. Dann überlegte er es sich und schoß hinaus, um die Leiche nach möglichen Wertsachen abzusuchen — schließlich könnte jemand herbeikommen, der sie sich weniger verdient hatte und der Sjekso nicht so gut kannte. Er fand den Messingtalisman und den Beutel — leer, von einem alten Nagel und ein paar Fusseln abgesehen —, hängte sich den Talisman um den eigenen Hals und rannte nunmehr atemlos ins Haus, um den ersten, die wach waren, die Neuigkeit zu berichten. Die Tatsache, daß einer der Stammgäste des Einhorns tot vor der Tür lag, ließ mehrere Ubernächtigte oder aus dem Schlaf Gerissene die Treppe auf und ab hasten und neugierig auf die Gasse rennen.
Durch den Auflauf unter Minsy Zithkys Fenster ihrer gemieteten Stube gleich nebenan erfuhr Hanse davon.
Die ersten um die Leiche waren ernst und stumm, teils aus Achtung, teils wegen der morgendlichen Kopfschmerzen. Trotzdem lockten sie immer mehr Neugierige an. Hanse war einer der ersten unter ihnen. Mit fest verschränkten Armen stand er da, mit all seinen Dolchen, die einfach zu ihm gehörten. Sein Stirnrunzeln und der Gesichtsausdruck, der an eine gerade aufgewachte Eule erinnerte, während er die Leiche betrachtete, und die steife Haltung warnten Minsy Zithky, und sie ließ ihn lieber in Ruhe. Schluchzend und die Hände vor die Brust gepreßt, stand sie da. Hanse wollte nicht, daß die langjährige Freundin Sjeksos sich jetzt an ihn klammerte. Er dachte an das Würfelspiel und die Wette, und er spürte die Augen der anderen auf sich; denn auch mit ihm beschäftigte man sich jetzt, da der Mann, mit dem er gewürfelt hatte, kalt und steif in der Gosse lag.
»Wer hat ihn umgebracht?« fragte Hanse schließlich. Ein allgemeines Schulterzucken antwortete ihm. »Wer?«
Hanses Stimme klang schärfer, während sein Blick über die Neugierigen glitt. Eine Leiche war wirklich nichts Ungewöhnliches im Labyrinth, aber die eines jungen und gesunden Mannes, ohne Spuren von Gewalttätigkeit — ein Toter vor seiner Stammschenke und nur ein paar Häuser von seiner eigenen Unterkunft entfernt ...
Es gab so etwas wie Reviere. Gewiß, ganz sicher war ein Mensch nirgends. Aber es gab solche und andere Orte, und wenn ein Mann an seinem eigenen blieb, war es am unwahrscheinlichsten, daß er in den Morgenabfällen endete.
Viele in der Menge fühlten Unbehagen — auch wegen Hanse, der seine zierliche Gestalt mit Messern wettmachte und mit dem man sich besser nicht anlegte.
Sein finsterer, nicht nur von Kopfschmerzen bewegter Blick wanderte geradewegs zu einem Fremden in dieser Gegend — zu Mradhon Vis, einem neuen, aber häufigen Gast im Einhorn. »Du!« sagte Hanse. »Du bist in der Nacht etwa um die gleiche Zeit weggegangen wie er. Hast du etwas gesehen?«
Ein Schulterzucken. Welch nutzlose Frage. Niemand im Labyrinth sah irgend etwas. Aber Vis hatte bei seinem Schulterzucken die Lippen zu fest zusammengepreßt. Hanse starrte ihn noch finsterer an. Dabei wurde er sich der plötzlichen Stille der Menge und der Augen bewußt, die auf ihm ruhten. Seine Arme hingen nun an den Seiten, und er erinnerte sich, wie Sjekso und Mradhon Vis sich in der Nacht an der Tür angerempelt hatten. Sjekso hatte sich seiner üblichen spöttischen Bemerkungen nicht enthalten können, auf Kosten von Vis natürlich. Hanse zog stumm seine Folgerungen — stumm deshalb, weil er selbst vielleicht nicht in so gutem Licht dastand, nachdem er diesem Toten das letzte Geld und sein letztes Vergnügen abgewonnen hatte ... Sein Blick wanderte über die mürrischen Gesichter, die ihre eigenen Schlußfolgerungen zogen. Sie mochten ihn nicht sonderlich, genausowenig wie Sjekso, aber da Sjekso tot und von hier war, hatte er zumindest jetzt ihr Mitleid. Was dagegen ihn betraf — da hing etwas ganz anderes in der Luft.
Vis wollte sich zurückziehen und bahnte sich einen Weg durch die Menge. »Ihn müßt ihr anstarren!« rief Hanse. »He,
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