Die Rache der Zwerge
aus dem Stollen und lauschten. Der Mond und die Sterne leuchteten auf Idoslän herab. Die guten Augen der beiden zeigten ihnen eine silberne, verschlafene Landschaft voller Frieden und Ruhe. »Wo ist es hin?«, flüsterte Ingrimmsch und blickte auf die Erde. »Es müsste Spuren hinterlassen, in die sich ein Kind setzen könnte.« Er beugte sich hinab. »Nichts. Als sei das Fröschi davongehüpft.«
Tungdil hatte eine Bewegung in weiter Entfernung ausgemacht. »Ist es auch«, sagte er und zeigte seufzend nach Westen. »Da hinten ist es.«
Tatsächlich eilte eine Gestalt mit großen Sprüngen durch das Gelände und verzichtete darauf, eine der Straßen zu nehmen. Sie setzte über kleinere Büsche und gedrungene Obstbäume hinweg, als sei es eine einfache Übung. »Es wählt den kürzesten Weg nach Hause«, vermutete Tungdil.
»Verdammtes Viech!« Boindil stampfte auf die Erde und trat seine Wut in den Boden. »Was macht es im Westen?«
»Warum nicht im Westen?«, hielt Tungdil dagegen. »Wir wissen gar nichts über es und seine beiden Geschwister. Der Westen ist so gut wie der Osten.«
»Schon. Aber ich hätte vermutet, dass es nach Toboribor geht. Die Höhlen des ehemaligen Reiches der Schweineschnauzen wären doch ein hervorragendes Versteck.«
»Es kann durchaus sein, dass es uns täuschen will.« Tungdil entdeckte die Gestalt nicht mehr. Ein dunkler Waldrand hatte sie verschlungen und ihr Deckung gewährt.
Ingrimmsch schulterte Godas Waffe. »Machen wir uns gleich an die Verfolgung?«
»Es hat keinen Sinn. Siehst du, wie schnell es ist? Nicht einmal ein Reiter würde es einholen.« Sie kehrten zurück in den Stollen. »Wir schauen morgen bei Tageslicht nach den Spuren. Vielleicht führt es uns an einen Ort, wo wir mehr über diese Scheusale erfahren können. Ich werde Prinz Mallen in Kenntnis setzen, damit er uns eine Abteilung Soldaten zur Seite stellt.«
Goda hatte Balyndis aufgesetzt, Blut lief in vielen kleinen Rinnsalen aus den Wunden in ihrer Haut; das rechte Auge war von einem Splitter knapp verfehlt worden, das fingerlange und strohdünne Bruchstück steckte im Schädelknochen. Sie biss die Zähne zusammen, um nicht laut zu schreien, packte Tungdils Hand und umklammerte sie Hilfe suchend.
»Das wird schon wieder«, sagte er und lächelte ihr aufmunternd zu.
Ingrimmsch machte ihn auf den großen roten Fleck unter ihrem Kettenhemd aufmerksam. »Das sieht nicht gut aus. Wir brauchen auf der Stelle einen Heiler, der sich um ihre Verletzungen kümmert und ihr die Splitter aus dem Leib sucht«, murmelte er so leise, dass Balyndis nichts hörte.
Sie zog ihren Gemahl näher zu sich heran. »Ich werde gleich ohnmächtig, Tungdil«, presste sie hervor. »Nur Vraccas weiß, ob ich wieder erwache, deshalb hör mir zu.« Ihr Griff tat weh, so fest packte sie ihn. Eine Schmerzwelle schüttelte sie, ihre Lider flatterten. »Djerün ...«, ächzte sie, dann erschlaffte sie.
Voller Sorge lauschte Tungdil nach ihrem Herzen. »Es schlägt noch«, atmete er erleichtert auf. »Rasch, Ingrimmsch, wir tragen sie ins Bett. Goda, du eilst in die Siedlung und holst einen Heiler. Mir ist gleich, was er gerade tut. Schaff ihn her.«
»Ja«, nickte sie eifrig und griente dennoch, als sie sah, welchen Fehler Boindil beging: Er lehnte den Nachtstern an die Stollenwand und packte die Füße von Balyndis. Sofort schnappte sie sich ihre Waffe. »Meister, nun wirst du wohl selbst Holzbalken tragen dürfen. Du weißt ja, wo ich sie hingestellt habe«, sagte sie keck und eilte hinaus.
Er schaute ihr nach. »So ein ...« Den Rest ersparte er sich.
Als Balyndis auf ihrem Lager ruhte, die ersten eisernen Späne und scharfkantigen Splitter von Tungdil entfernt worden waren und der Heiler endlich ankam und sich um sie kümmerte, kehrte Ruhe ein.
Tungdil nutzte sie, um das Laboratorium aufzusuchen und sich traurige Gewissheit zu verschaffen. Es war, wie viele andere Räume, an denen er vorüberging, vollständig zerlegt worden, sodass nicht einmal ein halbwegs intaktes Regal übrig geblieben war.
Schnell wurde ihm klar, dass das Wesen den Diamanten durch einen Zufall gefunden hatte. In dem Glashaufen sah er einen riesigen blutigen Fußabdruck. Es war wohl hineingetreten, hatte sich verletzt und dabei den Stein zwischen den Scherben ausgemacht.
»Verdammt!«, schrie er seinen Ärger hinaus. Er ging in das Studierzimmer von Lot-Ionan, in dem er eine immense Sammlung von Büchern angehäuft hatte, begab sich an das Pult und setzte ein Schreiben an
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