Die Rache. Thriller.
ging sie in die Eßecke und inspizierte die fünf Gedecke. Ein plötzlicher Einfall ließ sie in die Küche zurücklaufen. Sie öffnete eine Schublade und holte schnell ein weiteres Besteck heraus.
Aus einem Regal nahm sie Teller und Glas und aus einem anderen ein Platzdeckchen. So, dachte sie, während sie ein weiteres Gedeck auflegte, wenn Papa kommt, wird er sehen, daß ich für ihn mitgedeckt habe. Vielleicht schämt er sich dann ein bißchen, wenn er Tommy vorher mit Hamburgern vollgestopft hat.
Während sie einen letzten Blick auf ihr Werk warf, hörte sie ein Auto kommen. Voller Erleichterung ging sie ins Wohnzimmer zurück, spähte vorsichtig durch den einen Spalt geöffneten Vorhang, um nicht als Spionin gehänselt zu werden, und dachte: Ich muß Papa das hundertste Mal sagen, daß er Bescheid geben muß, wenn er Tommy irgendwohin mitnehmen will. Er kann’s ja tun, aber er muß es mir halt sagen. Aber er hat das ja schon öfter gemacht, ohne daß ich so nervös war. Sie schüttelte heftig den Kopf, als ob sie dadurch ihre Gedanken mit Gewalt vertreiben könnte. Wieder lugte sie hinaus und fluchte, als die Scheinwerfer vorbeifuhren und in eine andere Einfahrt des Häuserblocks einbogen.
»Verdammt!« Wieder sah sie auf die Uhr. Von oben drang Gelächter zu ihr. Sie entschloß sich nachzufragen, ob nicht die Zwillinge eine Nachricht erhalten und sie nicht weitergegeben hatten. Das erschien ihr so selbstverständlich, daß sie sich wunderte, nicht früher daran gedacht zu haben. Wieder schaute sie hinaus auf die leere Straße, dann stieg sie die Treppe hinauf.
»Hallo, Lauren, Karen?«
»Wir sind hier, Mama.«
Sie öffnete die Tür des Kinderzimmers und fand beide ausgestreckt zwischen Schreibheften und Schulbüchern liegend.
»Mama, mußtest du auf der High School Hausaufgaben machen?«
»Natürlich.« Sie mußte lachen. »Warum fragt ihr?«
»Ich meine, als du ein Senior warst, wie wir.«
»Natürlich, auch dann.«
»Das ist nicht sehr gerecht. Wir gehen immerhin im nächsten Jahr aufs College, und ich sehe nicht ein, warum wir uns mit diesem altmodischen Kram herumschlagen sollen. Zehn Matheaufgaben! Ich habe das Gefühl, daß ich seit meiner Geburt jede Nacht zehn Matheaufgaben gelöst habe.«
Karen fing an zu kichern, bevor ihre Mutter antworten konnte.
»Also Laura, wenn du die richtigen Lösungen fändest, würdest du vielleicht mehr als ein B-minus bekommen.«
»Das sind doch nur Zahlen. Die sind nicht so wichtig wie Worte. Und was hast du eigentlich bei deinem letzten Englisch-Test bekommen?«
»Das ist nicht fair. Es war eine Arbeit über Bleak House, und ihr wißt genau, daß ich sie nicht fertigmachen konnte, weil ihr mir meinen Text weggenommen hattet.«
Lauren griff nach einem kleinen Kissen und warf damit nach ihrer Schwester, die es lachend zurückwarf. Beide Würfe gingen fehl.
Megan hob die Hände. »Frieden!« verkündete sie.
Die Zwillinge wandten sich ihr zu, und sie war wie immer bewegt über die Ähnlichkeit ihrer Augen, ihres Haares, über die Art, wie sie gleichzeitig zu ihr aufschauten. Wie zauberhaft sie sind, dachte sie. Sie haben die gleichen Gefühle, die gleichen Einfälle und trösten den Schmerz der anderen so leicht. Sie sind nie allein.
»Hört mal«, fragte Megan, »hat heute eine von euch mit Großvater gesprochen? Er hat Tommy von der Schule abgeholt, und die beiden sind noch nicht zurück. Hat er euch vielleicht Bescheid gesagt, daß er später kommt?«
Sie versuchte, keine Angst in ihrer Stimme aufkommen zu lassen.
Karen und Lauren schüttelten die Köpfe.
»Nein«, antwortete Karen. Sie war neunzig Sekunden früher als ihre Schwester auf die Welt gekommen und antwortete immer zuerst. »Machst du dir Sorgen?«
»Nein, nein, nein, es sieht nur eurem Großvater nicht ähnlich, keinen Bescheid zu geben, wenn sie ins Zentrum gehen.«
»Aber es ist auch nicht unbedingt sicher, daß er anruft«, sagte Lauren. »Großvater macht das einfach so. Das weißt du doch. Er denkt noch immer, er wäre in seinem Gerichtssaal und könnte alles machen, weil er im Amt ist.«
Das klang nicht traurig, eher sachlich.
Megan lächelte. »Manchmal scheint er wirklich so zu denken, nicht?«
»Er ist besonders lieb zu Tommy«, sagte Karen.
»Tommy ist auch jemand Besonderes.«
»Ich weiß, aber …«
»Kein Aber, er ist eben so.«
»Gut, aber manchmal überseht ihr uns einfach und kümmert euch nur um ihn.«
Diese Klage war alt, aber berechtigt.
»Karen, du
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