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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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dürfen.« Hethor hatte schon eine Ahnung, wie Meister Bodeans Antwort ausfiel.
    »Und wenn dein Meister dir die Erlaubnis versagt?«
    Hethor rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Ich bin ihm als Geselle verpflichtet. Wenn er es mir verbietet ... nun. Zwar besitzt er meinen Körper nicht, wohl aber meine Zeit, meine Arbeitskraft und den Wert, den meine Ausbildung mir verschafft hat. Den Meister unerlaubt zu verlassen – und sei es nur, um hierher zu kommen –, ist eine Art Diebstahl. Das bringt mir vermutlich die Peitsche ein.«
    »Der Schlüssel der Ewigen Bedrohung mag eine Legende sein«, warnte ihn Bibliothekarin Childress, »aber wenn die alten Geschichten stimmen, sind die im Schlüssel verborgenen Geheimnisse der Zugang zum wahren Kern unserer Welt.«
    »Deshalb werde ich die Peitsche riskieren.«
    Childress musterte ihn einen Augenblick lang. »Wir sind nur für unsere eigenen Seelen verantwortlich, mein Freund.«
    »Vor Gott«, sagte Hethor. Er schlug das Zeichen der Räderung – ein Reflex, den er sich vor langer Zeit angewöhnt hatte und heute kaum noch bemerkte.
    »So ist es. Vor Gott und unserem Gewissen. Welches von beiden uns strenger richtet, wirst nur du wissen. Aber ... ich werde für dich beten, und mit mir alle Bibliothekare der Nördlichen Welt.«
    Hethor stand auf, nahm die Feder aus Childress’ Hand und verbeugte sich vor ihr. »Vielen Dank, Madam. Sie haben mir dabei geholfen, einiges von dem zu verstehen, was mir Sorgen bereitet.«
    Auch die Bibliothekarin erhob sich. »Hör zu. Es mag Menschen geben, die dir helfen werden. Menschen, denen diese Dinge wichtig sind. Ich werde sie benachrichtigen. Wenn du glaubst, bei ihnen zu sein, frag sie nach dem Albino-Tukan.« Sie berührte ihn am Ellbogen und umarmte ihn dann. Ihre grauen Haare schmeichelten sein Kinn. Es war das erste Mal seit seinem elften Lebensjahr, dass Hethor berührt wurde, nicht um weggezerrt oder geschlagen zu werden, sondern einfach nur um der Berührung willen. Zum zweiten Mal an diesem Tag stiegen ihm Tränen in die Augen, brannten auf seiner Wange und ließen sein Gesicht rot anlaufen.
    Dann riss er sich zusammen und schritt am Bibliothekspförtner vorbei in den Nachmittag New Havens. Als er nach links auf die Elm Street abbog, um zu Meister Bodeans Werkstatt zurückzukehren, glaubte er, Faubus Bodean zu sehen, Pryces groß gewachsenen, jüngeren Bruder. Aber Faubus studierte nicht Theologie, sondern Architektur.
    Die Silberfeder brannte in Hethors Hand. An diesem Nachmittag waren die Straßen sehr belebt, und eine leichte Brise wehte unter einem perfekten Frühlingshimmel. Hethor ging nach Hause, und für kurze Zeit vergaß er Engel und Schlüssel und Albino-Tukane, sogar den Willen Gottes.
***
    Als Hethor die King George Street erreichte, gingen auf der anderen Straßenseite zwei Polizisten vorbei. Ihr Anblick machte ihn nervös, denn sie erinnerten ihn daran, dass er die Verpflichtungen gegenüber seinem Lehrherrn missachtet hatte. Als er sich Bodeans Uhrmacherei näherte, fiel ihm ein Pferd auf, das vor dem Laden angebunden war und neben einem Taxameter-Cabriolet stand – eine dieser neuen electrischen, pferdelosen Kutschen, die seit Kurzem durch New Havens Straßen fuhren.
    Kunden?
    Oder Ärger?
    Egal was es war, Hethor schuldete Meister Bodean eine Erklärung für seine heutige Abwesenheit. Außerdem hoffte er auf Bodeans Segen für seine Fahrt nach Boston. Er versuchte nicht daran zu denken, wie unmöglich sich die Geschichte für den Meister anhören würde, würde jemand anders sie ihm erzählen.
    Fast wäre Hethor nach hinten zum Pferdestall gegangen, aber als er das Pferd und das Cabriolet vor der Uhrwerkstatt betrachtete, beschloss er, den Vordereingang zu benutzen. Der Fahrer des Cabriolets nickte ihm kurz zu und tippte an seinen Hut. Ermutigt legte Hethor die Hand auf die Klinke und betrat Meister Bodeans Verkaufsraum ...
    ... wo Faubus Bodean ihn so fest am Kragen packte, dass der alte Cordstoff unter seinen Fingern riss. Bodeans Sohn rammte Hethor gegen die Ladentür, dass sie mit lautem Krachen gegen das Holz stieß. Der Aufprall raubte ihm den Atem. Faubus riss ihn am Kragen hoch, bis Hethor gezwungen war, sich auf die Zehenspitzen zu stellen, die in den zu engen Stiefeln ohnehin schmerzhaft nach unten gebogen waren.
    »Dieb«, zischte Faubus, dessen heißer, ein wenig nach Bier stinkender Atem auf Hethors Gesicht brannte. Dann blickte Faubus über die Schulter. »Vater«, sagte er, »der

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