Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
Vom Netzwerk:
ihn und fragte, ob er Hilfe brauche.
    »Nein, Madam«, sagte er und rappelte sich auf. »Ich muss nach Boston.«
    »Da lässt du dir aber reichlich Zeit, wenn du auf dem Bürgersteig liegst«, sagte sie mit einem schwachen, aber hübschen Lächeln.
    »Es wird ein langer Weg, mit Gottes Gnade.« Hethor dachte über göttliche Wunder nach, als er humpelnd der Dämmerung entgegenschritt. Hoch über ihm zeichnete sich die Messingschiene der Erde vor einem dunkel werdenden Himmel ab.

2.
    Hethor schaffte es in der ersten Nacht gerade bis hinter die Grenze New Havens, bevor er auf feuchtem Schilf unter einer verfallenen Brücke sein Nachtlager aufschlug. Am zweiten Tag gelangte er über die Landstraße nach Cheshire. Die Nacht hatte er auf einer Kastanie verbracht. Am Morgen hatte ihm ein alter Mann mit einem Karren voll Mairüben angeboten, ihn mitzunehmen.
    »Du wirst von New Haven nach Boston wohl gut hundertdreißig Meilen zurücklegen müssen«, sagte der Bauer, der Hethor seinen Namen nicht nannte. Er schnalzte seinen Pferden zu und zupfte an den Zügeln. Die beiden Tiere wieherten leise, trabten aber gleichmäßig weiter. Der Karren rollte auf einer der alten Landstraßen New Englands, eingepfercht zwischen uralten Steinmauern, die häufig unvermittelt in Wälder abbogen, als die Straße anstieg und wieder abfiel auf ihrem Weg über Hügelgrate, durch schmale, von Fels durchzogene Täler und schlammige Furten, an denen das Wasser seufzend vorüberströmte.
    »Es werden anstrengende Meilen sein, Sir.« Der Karren war nicht viel schneller, als Hethor zu Fuß gewesen wäre. Immerhin hatte er jetzt einen Sitzplatz und konnte seine schmerzenden Beine ausruhen. Ein Essenskorb zu Füßen des Bauern verhieß außerdem eine Abwechslung von frischem Gras und den drei Rotkehlcheneiern, die Hethor hatte ergattern können.
    Er würde sich lieber die Hand abhacken als Essen zu stehlen, und wenn es nur dazu gedacht wäre, das aufkommende Stechen in seinem Magen zu beruhigen. Nicht, nachdem ihn die Söhne Meister Bodeans wie einen Dieb aus New Haven verjagt hatten. Dank ihnen hatte er alles verloren, auf das er sich jemals Hoffnungen machen konnte: einen Lebensunterhalt, ein Dach über dem Kopf und eine Familie – sofern man Meister Bodean als Familie hatte bezeichnen können.
    Die Ungerechtigkeit nagte an ihm.
    »Ich werde die Rüben an einen Mann in Hartford verkaufen«, sagte der Bauer. »Kommen wohl noch heute Abend da an. Der Preis ist die Fahrt wert. Weiß zum Teufel nich’, wieso die da oben in Hartford nich’ ihre eigenen Rüben ziehen können.«
    »Ich kann nicht behaupten, den Grund dafür zu wissen«, sagte Hethor höflich und versuchte, sich die Wut über seinen Kummer nicht anhören zu lassen. Er bewegte die Füße in seinen Stiefeln und überlegte, ob er die verdammten Dinger ohne allzu viel Aufwand ausziehen konnte. Er würde sie ziemlich bald wieder brauchen, da war er sicher.
    Der Karren spulte die Meilen gemächlich herunter. Nach einiger Zeit versuchte der Bauer erneut ein Gespräch anzufangen. »Heutzutage nimmt man ja eher ’n Zug.«
    »Ja, stimmt.« Hethor wurde klar, dass er die Stiefel nicht losbekommen würde. Selbst wenn er es schaffte, sie auszuziehen, hatte er Sorge, dass seine Füße anschwellen würden, und dann bekam er die Stiefel nie wieder an.
    Einige Zeit verging. Ein kurzes Schnalzen der Zügel. »Züge kosten Geld.«
    Hethor seufzte. Er konnte schwerlich vorgeben, jemand anders zu sein. »Ich bin pleite, Sir. Hatte ein bisschen Geld, wurde aber ausgeraubt. Ich muss dringend nach Boston, auch wenn ich glaube, dass die Dringlichkeit eher in meinem Kopf steckt.«
    »Ha!« Mit breitem Grinsen blickte der Bauer zu Hethor hinüber. »Wahre Worte. Dringlichkeit steckt nur in den Köpfen der Menschen. Aber ob du’s nun eilig hast oder nicht, so ist doch offensichtlich, dass du kein Vagabund bist. Nicht bei den Stiefeln und der Jacke. Sind nicht abgenutzt genug. Aber der Kragen ist ziemlich ausgeleiert und an der Naht aufgerissen. Jemand hat dich hart angepackt, was?«
    Hethor rieb sich übers Gesicht. Sämtliche Tränen der Wut, der Scham und der Enttäuschung schienen vergossen zu sein. »Könnte man so sagen.«
    »Ich glaube, mein Mittagessen reicht auch für zwei, wenn du Hunger hast.«
    »Ich kann leider nichts dafür anbieten«, sagte Hethor, ermahnte sich jedoch, beim nächsten Mal nicht so schnell zu antworten.
    Wieder verging einige Zeit. Erneut erklang das Schnalzen. »Erzähl mir ’ne

Weitere Kostenlose Bücher