Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
Vom Netzwerk:
Kaiserlichen Majestät, der Bassett . Das Luftschiff ging bei Kämpfen an der Mauer verloren. Jetzt kratzte er sich an seinem gestärkten Kragen. Das Zivilhemd schnitt ihm in den Hals wie die Klinge einer Hafenratte. »Das ist schlimmer als die Neunschwänzige«, murmelte er so, dass ihn niemand hören konnte, außer vielleicht die beiden, ganz in rot gekleideten Soldaten, die an der großen Doppelflügeltür Wache schoben, vor der er wartete.
    Königliche Marineinfanteristen, die in Uniformen steckten, die schon zu seines Großvaters Zeiten getragen worden waren. Sie reichten nicht aus, um den laut brüllenden Pöbel abzuwehren, waren aber für den einfachen Wachdienst vor einer Tür übertrieben, egal, wie viele Admiräle und Mitglieder des Parlaments auf der anderen Seite saßen.
    Manchmal bedauerte er es, unter der glühend heißen Atlantiksonne auf diesem arabischen Schiff nicht verhungert zu sein. Das war ein ehrliches Schicksal für einen vernünftigen Matrosen. Nichts im Vergleich zum Tod durch Schweiß und rasiermesserscharfe Kragen.
    Und er trug Zivilkleidung. Nicht mal Uniform. Er hatte keine Zivilkleidung mehr getragen, seit er den Kindesbeinen entwachsen war. Selbst wenn er Freigang hatte, trug er immer eine Hose aus geteertem Leinentuch und eine alte Uniformjacke.
    Der Raum war genauso schlimm wie die Kleidung. Die Rotröcke hätten genauso gut Möbel sein können; ihre Bajonette waren aus Silber und so blank poliert, dass er sich darin spiegeln konnte. Die Wände waren mit seltsamem Holz verkleidet, und in dem Holz befanden sich Paneele, die wie eingerahmte Bilder wirkten, allerdings aus demselben Holz. Ein Kronleuchter mit zu viel geschliffenem Glas glühte trotz schlecht verkabelter Electricität. Ein riesiges Gemälde des Uhrwerk-Zweideckers Vincent Leonard , dessen Untergang unter Nelsons Flagge den alten Aufziehmaschinen ein Ende bereitet hatte. Damals hatten sie sich wieder auf Segel verlassen, bis sie sich den Dampf nutzbar machen konnten. Ein weiteres Gemälde, diesmal vom siegreichen Admiral selbst, wie er Villeneuves Kopf in einer Hand hielt. Die Augen des alten Froschschenkelfressers wirkten so überrascht, wie es bei Toten immer der Fall war.
    Al-Wazir salutierte dem Franzosen. Es war praktisch ein letztes Aufbäumen ihrer alten Macht gewesen.
    Unterhalb der Gemälde wurde der Raum merkwürdig – zerbrechlich wirkende Sofas mit Paisleymusterdecken, in denen er nicht mal einen Hund beerdigen würde, kleine Beistelltische, auf denen winziges Silbergeschirr stand, das die Größe von Brotkäfern hatte. Auf dem Boden lagen Teppiche, die aus dem Fernen Osten zu stammen und von sehr kleinen Fingern geknüpft zu sein schienen. Er hatte genügend nobles Zeug in den Puffs am Hafen gesehen, um sich das hier vorstellen zu können. Die Dinger in den Bordellen waren aber nur schlechte Kopien des Zeugs aus Aluminiumfolie und Baumwollstoff in diesem Raum. Hier hätte die Königin höchstpersönlich vom Parkettfußboden essen können.
    Als Reeperbootsmann musste al-Wazir die geradezu zwanghafte Sauberkeit in diesem Raum bewundern, auch wenn er sich momentan nicht im aktiven Dienst befand. Er bezweifelte, dass hier selbst der pingeligste Handschuhträger bei einem Appell einen Fehler entdecken konnte, außer natürlich, einer der Infanteristen hätte sich in die Hosen gemacht. Aber so, wie er die Jungs kannte, hatten auch ihre Blasen stramme Haltung angenommen.
    Er kratzte sich am Kragen und grinste die unbeweglichen Wachen böswillig an. Er trug schließlich keine Uniform; er würde sich verdammt noch mal kratzen.
    Al-Wazir musterte sie eingehend. Ja, der auf der Linken hatte einen Schweißtropfen an seiner Nasenspitze. Er hatte nicht den Mumm, den Jungen ordentlich aufzuziehen, vor allem nicht, wenn jene Türflügel sich jeden Augenblick öffnen könnten und seine ungeteilte Aufmerksamkeit von der Admiralität beansprucht würde. Allerdings konnte er das Unbehagen des Anderen mit einem gewissen Maß an Unhöflichkeit genießen.
    Al-Wazir wartete in einem Vorzimmer irgendwo im zweiten Stock des Ripley-Gebäudes, in dem die Admiralität untergebracht war. Er war sich der Ironie durchaus bewusst, sich an einem so erhabenen Ort zu befinden, nachdem er aus der königlichen Marine entlassen worden war – als Folge eines Prüfungsausschusses. Der Ruf nach London hatte ihn überrascht, gelinde gesagt. Al-Wazir reiste gerade in einem Zug nach Schottland, in der Tasche den Rest seiner letzten Heuer. Ein

Weitere Kostenlose Bücher