Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie
Modelleisenbahn ihres Sohnes ruiniert hatte.
Mitten in der Nacht wachte ich auf und fühlte mich schmutzig. Ich griff nach der von der Bahn zur Verfügung gestellten Packung Toilettenartikel und da sah ich es. Auf dem Päckchen war das Emblem des Präsident. Ich war im Prototyp! Ich wollte nach meinem Dad rufen, aber natürlich war der mittlerweile Hunderte Kilometer weit entfernt.
Beim Zähneputzen fiel mein Blick in den Spiegel. Ich starrte auf meine mageren, unterentwickelten Rippen. Meine Arme waren spindeldürr. Meine Wangen waren glatt und auf meinem Gesicht waren keine Narben von Glassplittern. Meine Brust war dunkelrot wie eine zerquetschte Pflaume. Ich war wieder elf.
Ich öffnete den Reißverschluss meiner Segeltuchtasche und zog meine neuen Sachen an. In diesen Kleidern fiel ich zurück in mein Bett und schlief den Schlaf einer ägyptischen Mumie.
Erst am späten Vormittag wachte ich auf. Im Zug war es so still wie in einer Kirche. Der Zug eilte über lautlose Gleisbetten durch eine eintönige winterliche Wüstenlandschaft. Da ich hungrig war, machte ich mich auf den Weg zum Speisewagen, aber der Wagen war leer. Die Tische waren nicht mitblütenweißem Leinen und Silber gedeckt. Kein Kellner band mir lächelnd meine Serviette um den Hals. Draußen vor den Fenstern flog eine von roten Felsen durchzogene Landschaft mit enormer Geschwindigkeit vorbei. Stationen rasten so schnell vorüber, dass ich die Namen auf den Bahnhofsschildern nicht lesen konnte.
Plötzlich sah ich sie. Sie saß manierlich auf einem blauen Plüschsitz, das Haar zu Zöpfen geflochten, die ihr Gesicht einrahmten.
»Hallo!«, sagte sie.
Ich hatte keine Zeit, etwas zu erwidern. Wir waren nicht allein. Der Schaffner des Zuges stand plötzlich in der Tür des Speisewagens und streifte uns mit einem fragenden Blick.
»Wie bist du in diesen Zug hereingekommen, Mädchen?«, fragte der Schaffner nicht besonders freundlich. »Und du, Junge? Wie bist du hier hereingekommen?«
»Das geht Sie nichts an!«, entgegnete das Mädchen mit den Zöpfen. »Ich bin drin und basta.«
»Was für ein Zug ist das, Sir?«, fragte ich.
Der Schaffner brummte: »Es ist ein Prototyp auf einer Teststrecke. Noch nicht in Betrieb. Er befördertkeine Passagiere, hält nicht und es gibt nichts zu essen.«
»Wohin fährt er?«, fragte ich. Ich wusste es schon. Ich versuchte mich zu erinnern, ob mein Dad die Weichen für den Präsident so gestellt hatte, dass der Zug nonstop bis New York fahren konnte. Oder würde er in Chicago halten? Ich konnte mich nicht genau erinnern.
»Der Zug hier war versiegelt«, knurrte der Schaffner. »Niemand durfte herein oder hinaus. Wie seid ihr hier hereingekommen, Kinder? Halt, wartet einen Moment. Rührt euch nicht vom Fleck!«
Die Stimme des Schaffners veränderte sich plötzlich, als würde er auf einen in die Enge getriebenen Hund einreden. Ich beobachtete, wie er sich, ohne uns aus den Augen zu lassen, rückwärts durch den Gang bewegte, bis er die Tür erreichte, die den Waggon mit dem nächsten verband. Man musste mir nicht extra sagen, dass er jemanden holen wollte, einen Sicherheitsbeamten, jemanden, der uns verhaften oder ins Gefängnis stecken würde. Der George-Washington-Speisewagen war der letzte Waggon des Zuges. Der Präsident sauste mit über achtzig Meilen pro Stunde durch eine Gegend, diewie Neumexiko aussah. Ein Entkommen war unmöglich. Was würden sie diesem Mädchen mit den Zöpfen antun? Oder mir?
Ich wartete ein paar Sekunden, nachdem der Schaffner den Waggon verlassen hatte. »Duck dich!«, sagte ich dann. Sie war im Nu unten auf dem Boden.
»Wer bist du?«, fragte sie.
»Das spielt jetzt keine Rolle. Er kommt zurück!«, sagte ich.
»Wenn sie mich finden, bin ich verloren«, sagte das Mädchen. »Dann hab ich ein Riesenproblem und das ist kein bisschen lustig!«
Ich fasste nach ihrer Hand. Sie war kalt und zitterte. »Siehst du den Bodenschrank dort unter den Sitzen? Genau da, wo deine Füße sind? Schieb die Tür auf! Schnell«, flüsterte ich. »Vielleicht kennt er diesen Zug noch nicht so genau.«
Der versteckte Schrank war genau der, den mir mein Dad mit seinem Optiker-Schraubenzieher gezeigt hatte. Es war ein Vorratsschrank für die Speisewagenküche, aber hier gab es keinen Küchenchef und keinen Küchenjungen, der Schrank war also leer. Genau wie sein Gegenstück auf der anderen Seite des Ganges. In den kletterte ich.
Das Mädchen schob die Schranktür ein kleines Stück auf und
Weitere Kostenlose Bücher