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Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Titel: Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Kopf vom Kissen und sah mir gerade in die Augen.
    Ich blinzelte nicht. Warum sollte ich ihr nicht glauben? Claires Geschichte war weitaus leichter zu schlucken als meine. »Ja«, antwortete ich. »Klingt vollkommen logisch.«
    »Jetzt bist du an der Reihe zu erzählen, Oscar«, sagte Claire.
    Ich begann mit der Modelleisenbahn im Keller unseres Hauses in der Lucifer Street. Als ich zum Bankenzusammenbruch in der Wall Street kam, sah Claire mich fragend an.
    »Mit diesem Zusammenbruch fingen alle unsere Probleme an«, erklärte ich ihr. »Die Zeitungen berichteten von Millionären, die an einem Tag ihren ganzen Zaster verloren haben und deswegen aus denFenstern von Wolkenkratzern gesprungen sind. Die, die nicht gesprungen sind, haben am Ende an den Straßenecken für einen Pappenstiel Äpfel verkauft.«
    Claire runzelte die Stirn. »Alle haben ihr Geld verloren?«, fragte sie. »Alle?«
    »Nicht alle«, sagte ich. »Mr Pettishanks und die ganzen Leute von seinem Klub haben ihr Schäfchen noch ins Trockene gebracht, aber die armen Farmer konnten keine Traktoren mehr kaufen. John Deere hat alle seine Verkäufer entlassen. Mein Dad hat seinen Job verloren. Normale Leute wie wir, wir sind pleitegegangen. Wir mussten unser Haus an die Bank zurückverkaufen; sogar unsere Modelleisenbahn ging an die Bank von Mr Pettishanks.«
    »Wann war dieser Zusammenbruch?«, fragte Claire.
    »Am 29 . Oktober 1929 «, antwortete ich.
    Claire schüttelte den Kopf. » 1929 hatten wir noch gar nicht, Oscar. Ich habe New York am 25 . Dezember 1926 verlassen.«
    »Wirklich?«
    »Ja, und der Zug hat kein einziges Mal gehalten. Wir sind die ganze Zeit nach Westen gefahren und jetzt fahren wir wieder nach Osten und ich bin amVerhungern … Seit ich in dem Zug bin, hatte ich nichts außer ein paar trockenen Keksen und Kondensmilch, die ich in der Küche des Speisewagens gefunden habe.«
    Ich angelte im Seitenfach meiner Segeltuchtasche und zog den Schokoriegel heraus, den Dutch für mich gekauft hatte, bevor er mich vor einer Woche auf dem Bahnhof von Los Angeles verlassen hatte. Stimmte das? Oder war es vor zehn Jahren? Oder war es noch gar nicht geschehen? Aber da war der Riegel, feste Schokoladenvierecke mit Mandeln. Claire verputzte ihn mit vier Bissen.
    »Ich steige in Chicago aus«, sagte ich. »Der Präsident hält dort. Ich bin ziemlich sicher. Mein Dad hat ihn gestern Abend auf die Schienen der Crawford’schen Anlage gesetzt. Er führte ihn durch die Dearborn Station. Das Signal schaltete auf Rot und der Zug hielt dort für ein paar Minuten.«
    »Was?«
    Ich seufzte. Ich wusste, sie würde mir nicht glauben. »Claire, als ich in diesen Zug gestiegen bin, war 1941 . Als ich Cairo verlassen habe und nach Los Angeles gefahren bin, war 1931 . Ich war in einer Raum-Zeit-Falte. Ich bin zweitausend Meilen nachWesten gereist und in Kalifornien ausgestiegen. Zehn Jahre später.«
    »Unmöglich!«, sagte Claire.
    »Ich denke, ich sollte dir von negativer Geschwindigkeit und Professor Einsteins Relativitätstheorie in Bezug auf die Zeit erzählen.« Ich zögerte. »Die Zeit ist wie ein Fluss und …«
    »Professor wer?«, fragte Claire.
    »Es ist höhere Mathe…«
    »Ich kenne mich nicht einmal mit niedriger Mathe aus«, unterbrach Claire. »Überspringen wir das. Erzähl mir lieber von diesem Zusammenbruch.«
    Der Zusammenbruch. Darüber wusste ich nicht so genau Bescheid. Ich hatte den Zeitungen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. »Du weißt, wo die Wall Street ist, Claire?«
    »Ja, natürlich! Mein Vater arbeitet an der Wall Street! Er ist Rechtsanwalt für eine Bank an der Wall Street.«
    »Also, die Wall Street, das ist, wo der Zusammenbruch passierte. Die ganze Cairoer Tageszeitung war voll davon. Dein Dad soll in fünf Jahren lieber aufpassen, mehr kann ich dazu nicht sagen!«, erklärte ich.
    Claire zeichnete verträumt mit dem Finger ein Muster an die beschlagene Fensterscheibe hinter ihrem Bett. Was dachte sie?
    »Willst du weiter hören, wie ich in diesen Zug gekommen bin?«, fragte ich sie.
    »Natürlich, Oscar. Was ist dann passiert?«
    Während ich erzählte, wurde das Vergangene wieder lebendig, und die Worte sprudelten aus mir heraus. Ich erinnerte mich an Tante Carmens Bohneneintöpfe, daran, wie Mr Applegate mir das Leben gerettet hatte, wie er die tropfnassen Gedichte für besinnliche Stunden auf den Küchentisch gelegt hatte und wie Willa Sue das Buch entdeckt hatte. Ich beschrieb Cyril und seinen hoffnungslosen Kampf

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