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Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Titel: Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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flüsterte durch den Spalt: »Wenn sie mich finden, werden sie den Zug anhalten. Sie werden mich an irgendeinem Ort, wo sich die Füchse Gute Nacht sagen, festhalten und meine Eltern anrufen«, flüsterte sie halblaut, das Rattern der Räder übertönend.
    Ich schloss die Tür meines eigenen Verstecks und hielt den Atem an, als die Schritte zurückkehrten. Drei Paar Füße, vermutete ich. Zuerst sagte niemand etwas, nur das Scharren von ledernen Schuhsohlen auf dem Fußboden des Speisewagens und das Schlagen mehrerer Türen und Schranktüren war zu vernehmen.
    Schließlich murmelte eine tiefe Baritonstimme unverständliche Worte. Dann hörte ich: »Harry, du siehst Gespenster. Vielleicht ist es an der Zeit, in den Ruhestand zu treten.«
    »Ich schwöre bei Gott und allem, was mir heilig ist, Captain, da waren zwei. Ich seh sie klar und deutlich vor mir, ein spillriger kleiner Wichtigtuer und dieses Mädchen hier am Tisch, in Lebensgröße. Zöpfe und Lackschuhe!«, erwiderte der Schaffner.
    »Sie sind nicht da, Harry. Hier ist niemand! Sowiesokönnte niemand in diesen Zug hereingekommen sein, wie auch immer. Die Türen waren bis zur letzten Minute versiegelt.«
    »Es war eine Halluzination«, sagte eine andere Stimme. »Du bist zu spät aufgestanden, Harry. Wie viele Hotdogs hast du gestern Abend gegessen?«
    »Hat nichts mit den Hotdogs zu tun«, jammerte Harry. Aber niemand ging darauf ein, und ich konnte hören, wie sie sich zurückzogen, während Harry verkündete, er werde jedes Bett und jedes Abteil in diesem verfluchten Zug durchsuchen.
    Eine scheinbare Ewigkeit lang hockten wir im Verborgenen. Nach einer Weile tauchte in mir der Gedanke auf, dass Harry allein zurückkehren würde, und dann könnte er den Speisewagen einer genaueren Untersuchung unterziehen. Ich wand mich aus meinem Schrank heraus und klopfte an die Schiebetür des gegenüberliegenden Schranks.
    »Harry wird in den Speisewagen zurückkommen«, drängte ich. »Nachdem er die anderen Abteile durchsucht hat. Seine Begleiter denken, dass er spinnt, aber glaub mir, er wird zurückkommen und überall herumschnüffeln wie ein Spürhund. Ich geh zum Abraham Lincoln, Wagen vier. Dort gibt eseinen winzigen Gepäckraum hinter der Toilette. Da können wir warten, bis er zum nächsten Wagen weitergeht.«
    Nach kurzem Zögern fragte das Mädchen: »Wie bist denn du in diesen Zug gekommen und wieso weißt du so viel darüber?«

»Komm raus«, sagte ich, als ich sicher war, dass Harry nicht zurückkehren würde. »Ich zeig dir, wo der Schlafwagen ist.«
    Bis jetzt hatte ich es geschafft, Claires Frage nicht zu beantworten.
    Das Mädchen hieß Claire Bister. Sie hatte mir erzählt, sie sei zehneinhalb Jahre alt und wohne Ecke Park Avenue und Siebzigste Straße in New York City. Sie hatte zwei hellbraune Zöpfe mit blauen Schleifen an den Enden. Claire war dünn wie ich, mit intelligenten grünen Augen und einem entschlossenen Ausdruck auf ihrem Gesicht.
    »Und wie heißt du ?«, fragte sie, als wir uns in einem Schlafwagenabteil eingerichtet hatten.
    »Oscar Ogilvie«, antwortete ich. »Ich bin elf Jahre alt und komme aus Cairo, Illinois.«
    »Du hast mir das Leben gerettet, Oscar Ogilvie«, sagte Claire. »Wenn sie uns erwischt hätten, hätten sie den Zug angehalten und meinen Vater angerufen, und Daddy hätte die Polizei angerufen und wäre so wütend gewesen, dass ich nichts zu lachen gehabt hätte. Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, um mich zu revanchieren, will ich es gern tun!«
    Aus freien Stücken gestand Claire, dass sie von zu Hause ausgerissen war.
    »Was haben sie dir getan?«, fragte ich.
    »Ich hatte einfach die Nase voll«, sagte Claire. »Sie haben mich in Tanzstunden für Gesellschaftstanz geschickt. Ich hasse Gesellschaftstanz. Sie haben mir Puppen und Rüschenkleider gekauft und Mummy redet dauernd von dem fernen Tag, an dem ich meine Einführungsparty haben werde. Ich will überhaupt keine Einführungsparty, und ich weigere mich, eine zu haben!«
    »Was ist das?«, fragte ich. »Einführung in was?«
    Claire musterte mich sekundenlang von oben bis unten.
    »Es ist eine blödsinnige Tradition«, sagte sie.»Wenn Mädchen aus gutem Haus achtzehn sind, müssen sie in die Gesellschaft eingeführt werden. Sie müssen lange weiße Kleider mit weißen Baumwollhandschuhen anziehen und die richtigen, auf keinen Fall die falschen Jungen kennenlernen. Auf diese Weise heiraten alle reichen Jungen reiche Mädchen und bekommen reiche Babys, und

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