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Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Titel: Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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zugestimmt. Oscar, ich geh jetzt hinunter. Wenn du hören willst, was geschieht, öffne den Wäscheschacht im Flur und horche!«
    Einige Minuten lang hörte ich kaum etwas außer den Echos im Wäscheschacht. Plötzlich ein Aufschrei einer weiblichen Stimme. Ohne Zweifel Claires Mutter. Dann die tiefe Baritonstimme ihres Vaters, ein dröhnendes Hallo. Ein Klatschen, wieauf Leder. Alle sangen: »Hoch soll sie leben, hoch soll sie leben, dreimal hoch!« Claires Erscheinen wurde mit großer Freude begrüßt, das war klar. Claires Familie mochte in Bezug auf ihre Tochter ein bisschen schwer von Begriff sein, aber sie schienen keine Rabeneltern zu sein.
    »Wo bist du gewesen, Liebling?«, fragte ihre Mutter immer wieder, als sich die erste Aufregung gelegt hatte.
    »Da und dort!«, sagte Claire. »Überall und nirgends!«
    »Bist du wirklich nicht entführt worden?«, fragte ihr Vater streng. »Bestimmt nicht?«
    »Nein«, sagte Claire, »in Wirklichkeit habe ich die Wohnung nie verlassen.«
    Ihre Mutter lachte hellauf, wie ein bimmelndes Glöckchen. »Liebling«, sagte sie, »du kannst zu Weihnachten alles haben, was du dir wünschst, und wir werden dich nie aufs Pensionat schicken. Du kannst hier in der Stadt auf die Brearley-Schule gehen! Oder die Spence-Schule! Welche Schule auch immer du willst!«
    Mrs Bisters trillernde Stimme klang fremdartig wie die von Mrs Pettishanks. Claires Mutter hattedenselben englischen Akzent wie Schauspielerinnen und Schauspieler im Kino.
    »Ich möchte in eine ganz normale öffentliche Mittelschule gehen«, sagte Claire. »MS 90 . Die ist vollkommen in Ordnung.«
    Mr und Mrs Bister beantworteten diesen Wunsch mit Schweigen. Ich vermutete, dass sie sich nie für eine öffentliche Schule würden erwärmen können, aber jetzt nicht darüber streiten wollten. Und sie wollten auch nicht über die Einführungsparty reden, da bis dahin noch sieben Jahre Zeit waren. Sie hofften wohl, Claire würde ihre Meinung bis dahin ändern. Ich wusste, dass sie das nicht tun würde.
    Jemand brachte Essen herein. Ich konnte das Klirren von Silbergeschirr und Gläsern hören.
    »Nach dem Mittagessen«, sagte Claire, »möchte ich zu FAO Schwarz hinüber, wenn ihr nichts dagegen habt.«
    »Dein Wunsch ist uns Befehl«, verkündete ihr Vater. »Wir gehen zusammen! Sag einfach, was du möchtest! Du kannst drei Züge haben! Bloß verschwinde nicht wieder.«
    »Gott sei Dank ist die Polizei weg, mein Lieber«, sagte Claires Mutter klar und deutlich zu ihremMann. »Ihre Uniformen haben gestunken wie Esel! Wir sollten der Polizeidirektion schreiben, sie sollen ihren Beamten Duschen zur Verfügung stellen und diese Uniformen in die Reinigung geben.«
    »Du redest wie ein Sozialist, meine Liebe!«, scherzte Mr Blister gut gelaunt.
    Was war ein Sozialist? Ich glaube, Tante Carmen benutzte das Wort zur Beschreibung dunkel gekleideter Leute, die nicht in die Kirche gingen und sich in Kellern trafen, um die Regierung zu stürzen.
    Langsam verlor ich das Interesse an den Tischgesprächen der Bisters und ging wieder ins Bett. Dankbar ließ ich mich in die Kissen zurückfallen. Ich freute mich für Claire. Endlich würde sie ihre elektrische Eisenbahn bekommen. Aber mein Herz in mir war so kalt wie ein Stein. Wie sollte ich je nach Cairo zurückkommen? Würde ich jemals meinen Dad wiedersehen und sein raues, beruhigendes Lachen hören? Würde ich je wieder Abendessen für ihn kochen oder ihm dabei zusehen, wie er sich eine Zigarre anzündete? Ich zog das Kissen über meinen Kopf und sprach zehn Gegrüßet-seist-du-Maria, aber wenn irgendjemand im Himmel meine Gebete hörte, gingen sie im Trubel dort unter.
    In diesem Moment klingelte unten das Telefon.
    Es klingelte und klingelte und niemand ging ran. Hieß das, dass das Haus leer war? Würde sonst nicht ein Diener den Hörer abnehmen? Es war der Nachmittag von Silvester. Claire hatte gesagt, das Hauspersonal hätte frei.
    Zwölf unbeantwortete Klingeltöne. Eine verführerische Stimme nagte in mir wie eine Maus. Sie flüsterte: »Oscar, wie wäre es, wenn du deinen Dad vom Telefon der Bisters anrufst? Es ist Silvester und er ist wahrscheinlich zu Hause.« Ich mahnte mich zur Vernunft. Handle dir keinen Ärger ein, Oscar! , warnte ich mich selbst. Aber ich hörte nicht auf mich. Unsere Telefonnummer in Cairo war in mein Herz eingeritzt.
    Auch meine Rippen gaben mir zu verstehen: Bleib, wo du bist. Trotzdem stand ich auf und schlich in den Flur. Alles war ruhig. Vor mir war

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