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Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Titel: Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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U-Bahn-Treppe hinuntereilte. Claire schob mich vor die Frau. Die stolperte mit ihrem ganzen Gewicht von hinten in uns hinein.
    »Zum Donnerwetter!«, rief die rundliche Frau. »Jemand sollte euch Manieren beibringen! Entschuldigt euch gefälligst!«
    Was Claire darauf antwortete, hörte ich nicht. Für einen Moment hatte sich die Luft, die mich umgab, wieder zu einer zähen Masse verdickt, die ich nicht atmen konnte. Ich hörte nur das Scheppern von einer Million Murmeln auf einem Blechdach und dann ein Plopp in meiner eigenen Brust.
    Aber ich war durch. Ich war bis ans Ende der Stufen hinuntergepurzelt und auf allen vieren auf dem schmutzigen Steinboden gelandet. Ich lag vor einem Zeitungsstand, unter Claire und der Frau mit den Einkaufstaschen.
    »Bist du das, Oscar?«, fragte Claire nervös und klopfte mir den Dreck ab.
    Ich konnte nur flach atmen. Beim Durchstoßen der Barriere hatte ich mir die Rippen gebrochen. Ichkonnte nicht besser laufen als jemand, der von Kopf bis Fuß in einem Gipsverband steckt.
    »Oscar?«, sagte Claire. »Bist du das? Ich seh nur einen kleinen Jungen!«
    »Ich stecke in ihm drin«, brachte ich mit Mühe heraus. »Ich muss mich hinlegen, Claire.«
    Neben meinem Kopf war der Drehständer mit den Tageszeitungen. Ich warf einen Blick auf den Tagesanzeiger und las das Datum. »Saison-Schlussverkauf!«, stand da. » 31 . Dezember 1926 .«
    »Wo laufen all die Leute hin?«, keuchte ich. Jung und Alt, Groß und Klein, alle rannten, rauf, runter, kreuz und quer auf den widerhallenden Bahnsteigen. Aktentaschen stießen gegen uns. Nur wenige New Yorker sagten »Entschuldigung«.
    »In der U-Bahn im Grand Central ist es immer so«, sagte Claire. »Sogar um Mitternacht!«
    Claire schleppte mich halb zu der Linie, die nordwärts zu ihrem Wohnviertel führte. Ich stolperte neben ihr dahin. Der U-Bahn-Waggon rüttelte und schwankte hin und her. »Ich sterbe«, flüsterte ich Claire zu. »Ich werde auf der Stelle sterben. Hier und jetzt.«

Ich öffnete ein Auge und versuchte zu erkennen, wo ich war. In einem Bett, das stand fest. Ich konnte mich nur ganz dunkel erinnern, dass ich ins Bett gebracht worden war. Die U-Bahn hatte meinen Rippen arg zugesetzt und die zehn Treppen bis zu Claires Apartment waren so schmerzvoll, dass ich bei jedem quälenden Schritt gewimmert hatte wie ein Baby. Das war mir in lebhafter Erinnerung geblieben.
    Aber im Bett war es ganz gemütlich. Ein vertrauter Geruch hüllte mich ein. Es war der spezielle Geruch von dicken Orientteppichen und Zitronenöl-Politur. Vermischt mit dem unvergleichlichen Duft nach Vanille und Buttergebäck irgendwo aus einer Küche.
    Behutsam fuhr ich mit meinen Händen meinen Körper entlang, um festzustellen, wie schlimm ich verletzt war. Ich merkte, dass meine Rippen mit einem Verband umwickelt waren. Sie fühlten sich besser, geschützter an.
    »Hallo«, sagte Claire. »Bist du hungrig, Oscar?«
    Ich nickte und zog mich vorsichtig hoch, um mich dann auf zwei Kissen zu lehnen. Die Kissen waren so weich wie Wolken.
    Claire flößte mir mit einem Löffel warme Rinderbrühe ein. Die Suppe weckte meine Kräfte wieder. Claire gab mir zwei Aspirin mit einem Glas Milch. Ich konnte in dem dunklen Zimmer fast nichts sehen. »Wo sind wir, Claire?«, fragte ich, als die Suppenschale leer gegessen war. Ich betastete den Verband um meinen kleinen Rippenkäfig.
    »Wir sind in einem Dienstmädchenzimmer. Wir befinden uns im dritten Stock unserer Wohnung. Niemand weiß, dass wir hier sind, mit Ausnahme von Lisl, dem Dienstmädchen. Sie wird nichts sagen, weil ich ihr den Geschenkgutschein von Bonwit Teller gegeben habe, den mir meine Großmutter zu Weihnachten geschenkt hat. Lisl hat heute frei,weil Silvester ist, wie das übrige Personal auch. Es ist also niemand hier oben.«
    Ich hatte keine Ahnung, was Bonwit Teller war, aber ich fragte nicht. »Deine Eltern wissen noch nicht, dass du wieder da bist?«, fragte ich. »Dauert der Dreizehn-Staaten-Alarm, den sie deinetwegen ausgelöst haben, noch an?«
    »Lisl hat mir gesagt, er dauert noch an«, sagte Claire. »Aber wir sind in Sicherheit. Die Polizisten haben das ganze Apartment dreimal durchsucht. Sie stehn sich unten in der Vorhalle die Beine in den Bauch. Mummy und Daddy sitzen im Wohnzimmer und warten, dass das Telefon klingelt. Wir sind durch den Seiteneingang, über den Personalaufgang, heraufgekommen. Deswegen hat Bruno, der Pförtner, uns nicht gesehen.« Claire nahm meine Suppenschale und den Löffel

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