Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie
Garderobe zurückgelassen. Bevor er sich erinnerte, wo er sie hingelegt hatte, hatte ich sie mir heimlich geschnappt und sorgfältig in Toilettenpapier eingewickelt.
Dad wickelte sie aus. »Heiliger Bimbam, Oscar. Es ist eine Macanudo. Die Zigarre eines reichen Mannes!« Er drückte sie an sein Herz. »Ich werde sie wie meinen Augapfel hüten, und wenn wir uns wiedersehen, werde ich sie anzünden!«
Ich winkte ihm nach und lehnte mich dabei so weit von der Veranda, wie ich konnte, bis er sich umdrehte, mir Küsse zuwarf und rief: »Auf dem Bahnhof in Los Angeles, Oscar! Bald!« Ich hielt die Finger an meine Nase, um den letzten Duft der Macanudo einzuatmen. Ich würde ihn niemals abwaschen.
»Jetzt komm und mach dich in der Küche nützlich, Oscar!«, sagte Tante Carmen, als sie sah, dass ich noch immer vom Geländer der vorderen Veranda auf die leere Straße hinausstarrte.
»Ich habe noch nie einen erwachsenen Mann weinen sehen«, bemerkte Willa Sue.
»Nun, jetzt hast du’s gesehen«, fuhr ich sie an. Aber sogleich sagte eine Stimme in meinem Kopf klar und deutlich: »Halt die Klappe, Blödmann!«
»In diesem Haushalt, Oscar, halten wir unsere Hände beschäftigt und unsere Zunge im Zaum«, sagte Tante Carmen. »Bitte wasch diesen widerlichen Zigarrengeruch ab!«
Kaum war Dad um die Ecke der Freemont Street gebogen, hatte Tante Carmen ein Pfund blasige, weiße Margarine herausgeholt, die nun in einer Schüssel auf dem Küchentisch auf mich wartete. Unter der fröhlich klingenden Bezeichnung Butterine lag sie da, ein bleicher Ziegel weiches Fett, eingewickelt in Wachspapier. In der Mitte des Fettklumpens war eine kleine rote Kugel. Dieses rote Farbstoff-Kügelchen musste ich in das weiße Fett einarbeiten und die intensive rote Farbe gleichmäßig darin verteilen, bis die ganze Masse ekelhaft gelb war.
»Dad kauft Butter«, sagte ich.
»Eben darum ist er fort und hat euer Haus an die Bank verloren, junger Mann«, antwortete Tante Carmen. »Butter, Züge und Zigarren. Das hat ihn an den Bettelstab gebracht! Du wirst feststellen, dass es hier weitaus sparsamer zugeht!«
Danach war nichts mehr wie früher.
Wenn ich von der Schule nach Hause kam, war der Mittagseintopf völlig verkocht. Er stand in einer feuerfesten grünen Form auf dem Herd. Ich durfte mich dem Herd nicht nähern. »Jungen und kochen! Wo kämen wir da hin!«, sagte Tante Carmen.
Ich ging ins Bett, wenn meine Hausaufgaben erledigt, meine Füße geschrubbt und meine Gebete in Gegenwart von Tante Carmen gesprochen waren. Nachdem ihre Schritte auf dem Flur verhallten, holte ich meinen Stapel Lionel-Tickets aus meiner Brieftasche. Ich hatte die Fahrkarten beim Verkauf der Züge an Mr Pettishanks zurückbehalten.
Ich legte das Ticket der Lionel Golden State Line obenauf. Natürlich könnte ich damit nicht einmal eine Straßenbahn besteigen, aber ich liebte den Anblick der in Goldbuchstaben gedruckten Aufschrift:
LIONEL LINES
GOLDEN STATE LIMITED DEARBORN STATION, CHICAGO, NACH LOS ANGELES
SCHLAFWAGEN ERSTER KLASSE
HIN UND ZURÜCK
Mit dem Spielzeugticket in meiner Hand konnte ich einschlafen.
Tante Carmen verdiente ihren Lebensunterhalt mit Klavier- und Deklamationsunterricht bei reicheren Leuten, nach dem Schulunterricht. Sie hatte einen streng geregelten Wochenplan für ihre Besuche bei den einzelnen Familien.
Ich bat Tante Carmen, zu Hause bleiben zu dürfen. »Ich muss meine Hausaufgaben machen«, erklärte ich. Sie prüfte mein letztes Zeugnis. »Du stehst in Mathematik auf einer Sechs, Oscar«, sagte sie.
»Ich habe Schwierigkeiten mit komplizierten Teilungen und Bruchrechnungen.«
»Nun, dann wirst du dich einfach mehr anstrengen müssen«, sagte sie.
»Wenn du mich zu Hause bleiben lässt, verspreche ich, meine Hausaufgaben zu machen. Alle meine Hausaufgaben. Ich werde mich verbessern. Bitte, Tante Carmen«, bettelte ich.
Tante Carmen mochte es nicht, angebettelt zu werden. Andererseits wollte sie nicht, dass ich in Mathematik durchfiel.
Willa Sue hopste auf und ab, um auf sich aufmerksamzu machen. »Am Mittwoch bekommen wir bei den Merriweathers Limettentorte«, sagte sie mit einer Singsangstimme, »und freitags bekommen wir vom Koch der Baxters fast immer ein dickes Stück Schokoladenkuchen.« Sie wickelte eine Haarlocke um ihre Finger. »Wenn Oscar mitkommt, geben sie uns vielleicht nicht mehr so viel Torte und Kuchen. Vielleicht bekommen wir dann nur kleinere Stücke oder einfach nur noch Salzcracker.«
Tante Carmen
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