Die Rättin
von menschlichen Genen mit schweinischen und rattigen einem Programm vorzuziehen, das sich auf rattige und menschliche Gene beschränkt.
Gewiß, der drollige Ringelschwanz ist ein Argument. Mehrmals auf ihn verwiesen, läßt er sich nicht übersehen. Dennoch werte ich die reduzierten und überdies gelockten Rattenschwänze anders. Ich weigere mich, sie Schweineschwänze zu nennen, weise auf mögliche Launen der manipulierten Natur hin und bestehe weiterhin auf der neuen Gattung: Rattenmensch oder Menschenratte. Diese Anreicherung ist genug. Nur das Rattige kann oder soll im Humanen sinnfällig werden. Seitdem es uns altgewohnt nicht mehr gibt, sind wir neuerdacht immerhin wieder möglich geworden. Einzig die Ratte, behaupte ich, konnte den Menschen erhöhen und ihn verbessern. Nur diese Genkette überbot die Natur. Einzig dergestalt gelang es, die Schöpfung fortzusetzen. Von schweinischer Zutat zu reden Rättin, ich bitte dich! -, fiele mir schwer. Sie leben als Paare. Eine nicht übermäßige, aber doch spürbare weibliche Dominanz will auffallen. Der weibliche Rattenmensch begnügt sich nicht mit der Aufzucht der Würfe. Nachdem ihre Drillinge oder Vierlinge gesäugt sind, sehen wir die Weibchen nachdenklich schlendern, während die männliche Menschenratte den Nachwuchs hütet. Offenbar ist zu guter Letzt die geschlechtliche Gleichberechtigung doch noch gelungen. Was zu Humanzeiten nicht möglich war und immer wieder Streit in die Wohnküche, ins Schlafzimmer brachte und
bei aller Liebe nicht überbrückt werden konnte, lebt sich nun aus: ganz und gar zwanglos, harmonisch wie gewünscht, wenn auch ein wenig eintönig. So begierig ich bin, in ihrem Alltag Spannungen, beginnende Zerwürfnisse auszumachen, nichts will knistern, kein Funke springt, überzeugend langweilig geht es zu.
Kaum angelandet, haben sie sich vermehrt. Zwar werden sie nicht so rasch wie die ansässigen Rattenvölker zahlreich sein, aber schon paaren sich die ersten Jungpaare, schon sind die Schwedischmanipulierten eine Großsippe, bald werden sie ein Volk bilden. Die Rättin und ich zählen über hundert Blauäugige, die auf der Speicherinsel ihr Revier haben und sich auswachsen wollen. Zwei der fünfgeschossigen Fachwerkhäuser, die nach dem Zwischenkrieg wieder aufgebaut wurden, sind bis unters Dach als Kinderund Jugendhäuser belegt. Noch kennen sie keine Nahrungssorgen, weil alle Speicher mit Vorräten der hiesigen Rattenvölker gefüllt sind: Maiskolben, Kornaufschüttungen, gehäufte Linsen und Sonnenblumenkerne.
Die Rättin, von der ich glaube, sie träume mir, sieht das nicht ohne Bedenken; und ich, der ich von ihr das sagt sie geträumt werde, sorge mich gleichfalls: Jeder Vorrat geht mal zu Ende. Irgendwann bringt das Probleme.
Sie hingegen beklagt Versäumnisse: Wir hätten sie ausrotten, gleich nach dem Anlanden ausrotten sollen. Waren doch nur zwölf. Wäre ein Klacks gewesen, mit denen fertig zu werden ruckzuck.
Im Prinzip gebe ich meiner Rättin recht, und wahrscheinlich war sogar ich es, der aus Sorge um die im Raum Danzig siedelnden Rattenvölker die unverzügliche Eliminierung der Manippels gefordert hat. Jedenfalls stimmen wir überein: der Friede täuscht. Bald wird die Speicherinsel übervölkert sein. Schon ist die vierte Generation der Blauäugigen geschlechtsreif. In den Vorratshäusern sinken die Sonnenblumenkerne von Stockwerk zu Stockwerk. Offensichtlich ist der Vorrat im ehemaligen Raiffeisenspeicher Gerste lagerte dort verbraucht. Immer mehr abgenagte Maiskolben schwimmen in beiden Mottlauarmen. Zwar darben die Rattenvölker nicht, zumal die letzten Ernten überreich ausfielen, aber man sorgt sich dennoch: Was wird sein, wenn alles verzehrt ist? Wohin mit ihnen, wenn sie hungrig und überzählig sind?
Noch bieten ihre Versammlungen ein friedfertiges Bild. Wenn sie am Abend in Gruppen stehen oder Arm in Arm aufund abschlendern, wirken sie harmlos, ganz auf sich und ihre Vervielfältigung konzentriert: eher sanft die Männchen, herrich die Weiber. Wohlgeordnet bevölkern sie die Speicherinsel, als reiche ihnen der Flecken. Streng pfeifen sie ihre Kinder zurück, sobald einige im Spiel auf die Brücken laufen und Reviermarkierungen überspringen: in Richtung Grünes Tor oder am Milchkannenturm vorbei, zur Niederstadt hin, wo unsere Russen hinter Schlammwällen siedeln.
Ihre Aufzucht ist folgsam. Von jung an lernen sie, durch Handheben sich abzustimmen. Sie wollen nichts übers Knie brechen und legen auf gute
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