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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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von hier aus nach Süden zogen, um ihren Teil der Völkerwanderung abzuleisten, so sind jene in Gotlands Hauptstadt Freigesetzten als eine Kraft zu begreifen, die wie schon jetzt deutlich Geschichte machen wird.
Wer sagte das? Die Rättin, von der mir träumt? Oder sagte ich, was mir vorgesagt wurde? Oder sie, was ich ihr in den Mund legte? Oder sprachen im Traum die Rättin und ich synchron?
Beide sind wir vom Auftritt der Manippels, ihrer penetrant blonden Blauäugigkeit überrascht worden, wenngleich die Rättin der Kommenden Ankunft herbeigesehnt hat, ich sie befürchtet habe. Anfangs retteten wir uns in Gelächter: Sind die nicht komisch, zum Totlachen komisch? Diese Henkelarme! Dieses, bei durchgedrückten Knien, gestelzte Gehen. Wie die Männchen beim Pissen ihr Geschlecht verdekken, die Weibchen sich hocken. Ihre umständlichen Begrüßungen und feierlichen Gesten. Wirklich: Komische Käuze sind sie!
Seit der Anlandung beobachteten wir ihre von den Rattenvölkern unbehinderte Landnahme. Indem sie die Speicherinsel zwischen den Mottlauarmen, mithin geschichtsträchtigen Raum besetzten und auf den Brücken zur Rechtstadt, zur Niederstadt gezielt harnten und Kot plazierten, also auf rattenübliche Weise ihr Revier absteckten, traten sie auf, als seien ihre Ansprüche verbrieft.
So etwa, sagte die Rättin, sagte ich, mögen dazumal die Deutschritter ihrem Orden Platzrecht verschafft haben. Doch weil sie so fraglos von der Speicherinsel Besitz ergriffen, wurden die Gekommenen von den ansässigen Rattenvölkern nicht nur geduldet, sondern als Zeugen höherer Gewalt auch respektiert: aus gehöriger Distanz. Nein, keine Kontaktnahme, kein spielerisches Kräftemessen. Auch keine untertänige Ehrerbietung nach anfänglichem Glockengeläut. Allenfalls kommt man sich neuerdings auf den Brücken nah, wittert einander: fremd.
Wir warten ab. Wir sehen sie alltäglich und werden vorerst nicht klug aus ihnen. Doch sind meine Rättin und ich darin einig: Es geht von den schwedischmanipulierten Rattenmenschen sie sagt betont: Menschenratten in sich ruhende, träge, womöglich dumpfe Gewalt aus, die sich vorerst nicht beweisen muß; man glaubt ihnen auch so, daß sie notfalls bereit sind durchzugreifen: rasch und besonnen, immer dem Anlaß entsprechend, nie maßlos. Sie verkörpern Macht, doch keine blindwütige Gewalttätigkeit. Lässige Disziplin ist ihnen eingeboren. Ohne daß sie was unter Ratten leider notwendig istvon Aufpassern verbissen werden müssen, gehen sie ihrer unmerklichen Ordnung nach.
Die Rättin sagt das, ich bestätige: die Gekommenen sind, nachdem sich das Lachhafte ihres Auftritts verflüchtigt hat, schon, von erschreckender Schönheit. Nicht aus Distanz, nahbei, von den Brücken her besehen, sind sie individuell ausgeprägt, keine identischen Klons, vielmehr ein jeder, eine jede anders schöngeraten. Das Blau ihrer Augen reicht vom lichten, hier wäßrigen, dort milchigen Blau über kühles Metallblau bis zu jener dunklen, sich plötzlich einschwärzenden Bläue, die während der Humanzeit dem heldischen Blick nachgesagt wurde. Dazwischen immer wieder Momente strahlender Himmelsfarbe, ihre uns rührende Blauäugigkeit. Die Rättin und ich sehen sie weizenund semmelblond, goldbis rotblond die Speicherinsel abschreiten: gelassen raumgreifend. Hier stehen sie sinnend vor den Trümmern aus der Zeit des Zwischenkrieges, dort mögen sie nicht ahnen, daß einst, parallel zur Adebargasse, die Münchengasse lang das letzte Judenghetto verlief. Ihnen hängt diese Geschichte nicht an. Nichts müssen sie bewältigen. Auf den Wert Null programmiert und von keiner Schuld genötigt, treten sie auf. Mit Neid sehen wir das.
Etwas Tapsiges ist ihnen eigen. Ein wenig O-beinig stehen sie da. Nicht alle sind glattbehaart. Einigen lockt sich das Fell den Rücken, die Oberarme, die Schenkel lang. Selbst auf den Fingergliedern und Zehen ja, es sind menschliche Hände und Füße, mit denen sie zufassen, Stand finden, sich behelfen kräuseln es lichte Haare. Jene mit glattem Haupthaar tragen es lang und gescheitelt. Auch sind ihre hellbis dunkelblauen Schwedenaugen blond bewimpert.
Ich finde das schön. Die Rättin hingegen meint, sie sehe außer rattigen Zutaten Anteile vom Hausschwein. Indem sie auf fehlende Langschwänze hinweist, wird mir deutlich, daß die Wirbelsäule der Rattenmenschen überm Steiß in zwar kümmerliche, aber doch ablesbare Ringelschwänzlein mündet. Die Rättin sagt das ohne Spott, als sei die Manipulation

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