Die Räuberbraut
tun, was Männer jahrhundertelang getan haben, nämlich sich an junges Blut ranmachen? Alter hat keine Bedeutung. Es ist nicht Zenias Alter, das zählt, sondern Zenia selbst. Larry könnte genausogut flüssigen Abflußreiniger trinken.
Während Charis diesen lieblosen Gedanken denkt, macht Zenia einen Schritt zur Seite, tritt vom Bürgersteig herunter und verschwindet in einem Taxi. Larry steigt hinter ihr ein – das eben war also kein Abschiedskuß –, und das Taxi wird in den fließenden Verkehr gesaugt. Charis ist völlig verdattert. Was soll sie jetzt bloß tun? Am liebsten würde sie Roz anrufen – Roz! Roz! Hilfe! Komm schnell! –, aber das würde überhaupt nichts nützen, weil sie nicht weiß, wo Zenia und Larry hinwollen; und selbst wenn sie es wüßte, was dann? Was würde Roz tun? In ihr Hotelzimmer oder was auch immer hineinplatzen und sagen: Hände weg von meinem Sohn ? Larry ist zweiundzwanzig, er ist erwachsen. Er kann tun und lassen, was er will.
Charis entdeckt ein anderes Taxi und läuft mit beiden Armen fuchtelnd auf die Straße. Das Taxi kommt mit quietschenden Reifen genau vor ihr zum Stehen, und sie läuft herum und reißt die Tür auf und klettert hinein. »Danke«, keucht sie.
»Sie können von Glück sagen, daß Sie nicht tot sind«, sagt der Fahrer, der einen Akzent hat, den Charis nicht identifizieren kann. »Was kann ich für Sie tun?«
»Folgen Sie diesem Taxi«, sagt Charis.
»Welchem Taxi?« sagt der Fahrer.
So ist es, und schlimmer noch, Charis fühlt sich verpflichtet, dem Mann drei Dollar zu geben, weil sie schließlich in sein Taxi eingestiegen ist, aber sie hat nur einen Fünfer und einen Zehner, und er hat kein Kleingeld, und sie will den Hot-Dog-Verkäufer nicht bitten, ihr zu wechseln, nicht nach allem, was er eben zu ihr gesagt hat, und das Ganze endet damit, daß der Taxifahrer zu ihr sagt: »Zeit ist Geld, Lady, tun Sie mir den Gefallen und vergessen Sie’s«, und plötzlich schwirren überall unfreundliche Gefühle herum.
Zum Glück wird die Queen Street gerade wieder einmal aufgerissen, und Zenias Taxi steckt im Stau. Nachdem Charis noch ein Stück die Straße hinuntergelaufen ist, gelingt es ihr, ein weiteres leeres Taxi zu finden, nur zwei Autos hinter dem von Zenia, und sie springt hinein, und gemeinsam quälen sich die beiden Taxen durch den Kern der Innenstadt. Zenia und Larry steigen am Arnold Garden Hotel aus, Charis tut es ihnen nach. Sie beobachtet, wie der livrierte Türsteher ihnen zunickt, sie beobachtet, wie Larry die Hand auf Zenias Ellbogen legt, sie beobachtet, wie sie durch die Tür aus Messing und Glas verschwinden. Sie selbst ist noch nie durch diese Tür gegangen. Alles, was eine Markise hat, schüchtert sie ein.
Während sie noch überlegt, was sie jetzt tun soll, fängt ein Fahrradkurier ohne jeden Grund an, sie zu beschimpfen. Scheiße, Lady ; passen Sie doch auf, verdammt noch mal! Es ist ein Omen: für heute hat sie genug getan.
Sie geht zur Anlegestelle der Fähre, hin und her geschüttelt wie von einer Windbö. In der Stadt sein ist so aufreibend; wie Staub, der einem ständig ins Gesicht bläst, wie Tanzen auf Schmirgelpapier. Ohne zu wissen, wieso eigentlich, stört sie sich mehr daran, Lady genannt worden zu sein, als daran, daß sie als alte Tranfunzel bezeichnet wurde. Wieso hat Lady für sie einen so beleidigenden Klang? [ Also wirklich, sagt Shanitas Stimme mit amüsierter Geringschätzung. Wenn das alles ist, was du je zu hören bekommst!)
Sie fühlt sich verwirrt und unfähig, und sie hat ein bißchen Angst. Was soll sie mit dem, was sie weiß, nur anfangen? Was soll sie bloß tun? Sie horcht in sich hinein, aber ihr Körper sagt ihr nichts, obwohl es ihr Körper war, der sie in diese Situation gebracht hat, mit seiner boshaften Gier nach Koffein, seinen Adrenalinschüben, seinem Größenwahn. An manchen Tagen – und dieser hier scheint einer von ihnen zu werden – ist es wirklich eine Last, einen Körper zu haben. Obwohl sie ihren Körper mit Interesse und Rücksicht behandelt, auf seine Launen achtet, ihn mit Lotionen und Ölen einreibt, ihn mit ausgesuchten Nährstoffen füttert, dankt er es ihr nicht immer. In diesem Augenblick zum Beispiel tut ihr der Rücken weh, und irgendwo unterhalb ihres Bauchnabels formt sich ein kalter, dunkler Tümpel, ein unheilvoller Tümpel, ein Tümpel aus bräunlichgrüner, giftiger Säure. Der Körper mag die Heimstatt der Seele und der Pfad des Geistes sein, aber er stellt auch
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