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Die Räuberbraut

Die Räuberbraut

Titel: Die Räuberbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Ecke übrigläßt. Sie weiß, daß sie den Raum, den sie bewohnt, mit anderen Wesen teilt, auch wenn sie sie weder sehen noch hören kann, und vielleicht ist es besser, ihnen zu zeigen, daß sie ihnen freundlich gesonnen ist. Oder sie respektiert. Respektiert, genau das ist es, was sie meint, denn sie hat nicht die Absicht, sich zu eng mit ihnen anzufreunden. Sie will, daß auch sie sie respektieren.
    Sie geht in die Küche, in der es eisig kalt ist. Das Haus hat zwar eine Art Heizung, neben dem Warmwassertank in dem angebauten feuchten Schuppen mit dem festgestampften Lehmboden – dem Wurzelkeller, wie Charis dazu sagt, und sie hat auch tatsächlich Wurzeln eingelagert – Möhren und rote Beete, in eine Kiste mit Sand eingebuddelt, so wie ihre Großmutter es immer machte –, aber die Heizung funktioniert nicht besonders gut. Meistens bläst sie nur lauwarme Luft durch die Gitter im Fußboden und macht dicke Staubflocken; außerdem findet Charis, daß es Geldverschwendung und ein bißchen wie Schummeln ist, die Heizung anzumachen, bevor es absolut notwendig ist. Man sollte, wenn irgend möglich, das nutzen, was die Natur einem zur Verfügung stellt, und so sammelt Charis unter den Bäumen der Insel das alte Holz auf und verwendet die Bretterreste, die vom Bau des Hühnerhauses übrig sind, und bricht gelegentlich einen abgestorbenen Ast vom Apfelbaum.
    Sie kniet sich vor den gußeisernen Küchenherd – er gehörte zu den Dingen, derentwegen sie das Haus unbedingt haben wollte, dieser alte Holzherd auch wenn er andere Leute eher abschreckte, andere Leute, die einen Elektroherd haben wollten, deshalb war die Miete auch so niedrig. Dahinterzukommen, wie man den Herd in Gang brachte, war zu Anfang gar nicht so einfach; er hat seine Macken, und manchmal stößt er riesige Rauchwolken aus, oder er geht ganz aus, obwohl er mit Holz vollgepackt ist. Man muß ihm gut zureden. Sie scharrt die Asche von gestern in einen alten Topf, den sie für diesen Zweck bereitstehen hat – sie wird einen Teil davon auf ihren Kompost streuen und den Rest für eine Töpferin sieben, die sie kennt und die Glasuren daraus macht –, und stopft zusammengeknülltes Zeitungspapier und ein paar Stücke Anmachholz und zwei dünne Scheite in das Feuerloch. Als das Feuer greift, kauert sie sich vor die offene Tür, um sich die Hände zu wärmen und sich an den Flammen zu freuen. Das Apfelholz brennt blau.
    Nach ein paar Minuten steht sie auf, ein wenig steif in den Knien, geht zur Anrichte und stöpselt den elektrischen Kessel ein. Obwohl es keinen elektrischen Herd gibt, hat das Haus eine primitive Elektrik, eine Deckenfassung in jedem Zimmer, und ein paar Steckdosen, aber wenn der Kessel eingeschaltet ist, kann man nichts anderes einschalten, ohne daß die Sicherung durchknallt. Sie könnte warten, bis der Eisenkessel auf dem Herd kocht, aber das kann Stunden dauern, und sie braucht ihren morgendlichen Kräutertee sofort. Sie erinnert sich an eine Zeit, in der sie Kaffee trank, an der Uni, vor langer Zeit, in einem ihrer anderen Leben, als sie in der McClung Hall wohnte. Sie erinnert sich an das pelzige Gefühl in ihrem Kopf, und an die Gier nach mehr. Es war eine Art Sucht, nimmt sie an. Der Körper läßt sich so leicht auf Abwege führen. Wenigstens hat sie nie geraucht.
    Sie setzt sich an den Küchentisch – nicht den runden Eichentisch, den sie gerne hätte, sondern einen Übergangstisch, einen künstlichen Tisch, einen unmoralischen Tisch aus den Fünfzigern, mit Beinen aus Chrom und schwarzen Kringeln, die in die Kunststoffplatte eingebrannt sind –, trinkt ihren Kräutertee und versucht, sich auf den vor ihr liegenden Tag zu konzentrieren. Der Nebel macht dies schwieriger: es fällt ihr immer schwer, die Zeit zu bestimmen, trotz ihrer Armbanduhr, wenn sie die Sonne nicht sehen kann.
    Die dringendste Entscheidung, die sie treffen muß, ist: Wer bekommt zuerst Frühstück, sie selbst oder die Hühner? Wenn sie zuerst frühstückt, müssen die Hühner warten, und dann hat sie ein schlechtes Gewissen. Wenn die Hühner zuerst an die Reihe kommen, muß sie selbst eine Weile hungern, aber dafür kann sie sich auf ihr Frühstück freuen, während sie sie füttert. Abgesehen davon vertrauen die Hühner ihr. Vielleicht fragen sie sich jetzt schon, in eben diesem Augenblick, wo sie bleibt. Sie machen sich Sorgen. Sie sind vorwurfsvoll. Wie könnte sie sie enttäuschen?
    Jeden Morgen spielt sie in ihrem Kopf dieses kleine Tauziehen durch. Jeden

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