Die Räuberbraut
und weil Charis sagte, sie wolle einen Gemüsegarten anlegen, was auf ein gewisses Maß an ehrbarer Zweisamkeit schließen ließ; und die Nachbarn waren über die Veränderung so dankbar, daß sie sich nicht einmal über die Hühner beschwerten, bei denen man nicht wußte, ob sie erlaubt waren oder nicht, aber das hier ist nun einmal die Insel, und strikte Legalität ist hier nicht die Norm, was die zahllosen Anbauten beweisen, die ohne Genehmigung errichtet wurden. Zum Glück haben Charis und Billy ein Eckgrundstück, so daß sie nur auf der einen Seite Nachbarn haben.
Charis überpinselte die nackten Leute und die Katzen und grub die menschlichen Exkremente unter ihren Kompost, wobei sie sich selbst sagte, es sei richtig, das zu tun, weil die Chinesen das auch taten, in China, und jeder wußte, daß sie die besten organischen Gärtner der Welt waren. Scheiße zu Nahrung zu Scheiße, alles war Teil des Zyklus.
Sie bezogen das Haus im Spätfrühling, und vom ersten Augenblick an wußte Charis, daß es genau das Richtige war. Sie liebt das Haus, und noch mehr liebt sie die Insel. Sie ist durchtränkt von einem vibrierenden, brütenden, feuchten Leben; sie gibt ihr das Gefühl, daß alle Dinge – selbst das Wasser, selbst die Steine – lebendig und voller Bewußtsein sind, und sie selbst mit ihnen. An manchen Tagen geht sie vor Tagesanbruch aus dem Haus und wandert einfach durch die Straßen, die gar keine richtigen Straßen sind, sondern eher gepflasterte Fahrradwege, vorbei an den halb zerfallenen oder wieder hergerichteten früheren Cottages mit ihren Holzstapeln und Hängematten und verwilderten Gärten; oder sie legt sich einfach ins Gras, selbst wenn es feucht ist. Auch Billy liebt die Insel, zumindest sagt er das, aber nicht auf die gleiche Weise wie sie.
Der Nebel steigt von der Erde und den Sträuchern auf und tropft von dem alten Apfelbaum im hinteren Teil des Gartens. Immer noch hängen ein paar bräunliche, vom Frost verfärbte Äpfel wie verbrannte Christbaumkugeln an den knorrigen Ästen. Die heruntergefallenen Äpfel, die Charis nicht zu Gelee verarbeiten konnte, liegen faulend und gärend unter dem Baum. Mehrere der Hühner haben an ihnen herumgepickt; Charis erkennt es daran, wie diese Hühner umhertaumeln, so betrunken, daß sie es kaum schaffen, die Rampe zu ihrem Hühnerhaus hinaufzugehen. Billy findet die betrunkenen Hühner cool.
Die breiten, gestrichenen Dielen unter ihren nackten Füßen sind kalt; sie umschlingt ihre gänsehäutigen Arme und zittert ein bißchen. Sie kann den See nicht sehen, der Nebel hat ihn ausgelöscht. Sie bemüht sich, den Nebel schön zu finden – alles, was die Natur gemacht hat, sollte schön sein –, aber es gelingt ihr nur teilweise. Der Nebel ist schön, das schon, er ist wie verfestigtes Licht, aber er ist auch unheilvoll; wenn es neblig ist, kann man nicht sehen, was auf einen zukommt.
Sie läßt den schlafenden Billy auf der Matratze liegen, unter dem ausgebreiteten Schlafsack, und schlüpft in ihre bestickten indischen Pantoffeln und zieht eins von Billys Sweatshirts über ihr baumwollenes Nachthemd. Das Nachthemd ist im viktorianischen Stil gehalten und gebraucht gekauft; sie hat es aus einem der Second-Hand-Läden am Kensington Market. Es wäre billiger, solche Nachthemden selbst zu machen, und sie hat auch schon ein Schnittmuster und genug Stoff für zwei gekauft, aber irgend etwas stimmt nicht mit ihrer Nähmaschine – einer alten Tretmaschine, die sie gegen mehrere Yoga- Stunden eingetauscht hat –, und deshalb hat sie die Nachthemden noch nicht einmal zugeschnitten. Als nächstes will sie versuchen, einen Webstuhl zu ertauschen.
Sie geht auf Zehenspitzen aus dem Schlafzimmer und durch den schmalen Flur und die Treppe hinunter. Als sie mit Billy hier einzog, vor sechs Monaten, waren die Holzdielen unter mehreren Schichten aus rissigem Linoleum versteckt. Charis hat das Linoleum herausgerissen und die Nägel herausgezogen, mit denen es befestigt war, und die schwarze, teerartige Pampe abgekratzt, die herausgesickert war, und den Fußboden im Flur blau angestrichen. Aber auf halbem Weg die Treppe hinunter ist ihr die Farbe ausgegangen, und sie hat noch keine neue besorgt, und deshalb zeigen die unteren Stufen immer noch die Umrisse des alten Linoleumläufers. Sie stören sie nicht, diese Spuren; sie sind wie Signale derer, die früher hier gelebt haben. Also hat sie sie in Ruhe gelassen. Ähnlich wie wenn man in einem Garten eine verwilderte
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