Die Räuberbraut
Mutter. Immerhin, er versucht, sie zu schützen, das ist süß. Er will nicht nach Hause kommen und sie auf dem Küchenfußboden finden, wie schon einmal. »Boyce«, sagt sie ruhiger, »haben Sie eine Zigarette?«
Boyce, allzeit bereit, reicht ihr das Päckchen und läßt sein Feuerzeug aufschnappen. »Ich finde, es ist an der Zeit«, sagt er zu Larry.
Larry schluckt, starrt auf den Boden, macht ein resigniertes Gesicht. »Mom«, sagt er, »ich bin schwul.«
Roz merkt, daß ihr die Augen aus dem Kopf quellen wie einem erwürgten Kaninchen. Wieso hat sie das nicht gesehen, wieso hat sie es nicht gemerkt, was ist eigentlich mit ihr los? Das Nikotin greift nach ihren Lungen, sie muß wirklich aufhören, und dann hustet sie, Rauch quillt aus ihrem Mund, und vielleicht ist sie gerade dabei, einen vorzeitigen Herzanfall zu haben! Sie legt die Hand auf die Brust. Genau das wird sie tun, sie wird wie ein Häufchen Elend zu Boden sinken und es anderen überlassen, sich mit dieser Situation auseinanderzusetzen, weil ihr das alles über den Kopf wächst.
Aber dann sieht sie die Verzweiflung in Larrys Augen, und das Flehen. Nein, sie kann mit dieser Situation fertigwerden, wenn es ihr nur gelingt, sich fest genug auf die Zunge zu beißen. Es liegt nur daran, daß sie nicht darauf vorbereitet war. Was sagt man in so einem Augenblick? Ich liebe dich trotzdem? Du bist immer noch mein Sohn? Und was ist mit meinen Enkelkindern?
»Aber all diese kleinen Flittchen, die du mir zugemutet hast!« ist, was sie schließlich hervorbringt. Dann kapiert sie: er hat versucht, ihr eine Freude zu machen. Er hat versucht, eine Frau nach Hause zu bringen, um sie Mom zu zeigen wie ein pflichtschuldig abgelegtes Examen. Um ihr zu zeigen, daß er bestanden hat.
»Ein Mann kann nur sein Bestes tun«, sagt Boyce. »Walter Scott.«
»Was ist mit den Zwillingen?« flüstert Roz. Sie sind in einem Alter ; in dem sie leicht beeinflußbar sind; wie soll sie es ihnen bloß beibringen?
»Ach, die wissen Bescheid«, sagt Larry, erleichtert, daß er zumindest diese Ecke abgedeckt hat. »Sie sind ziemlich schnell dahintergekommen. Sie sagen, sie finden es cool.«
Das paßt zu ihnen, denkt Roz. Sie sind die jüngere Generation; für sie sind die Zäune, die einst die Geschlechterpferche so unerbittlich umgaben, nur ein Haufen rostiger alter Draht.
»Sehen Sie’s doch so«, sagt Boyce liebevoll. »Sie verlieren keinen Sohn, sie gewinnen einen dazu.«
»Ich hab beschlossen, Jura zu studieren!« sagt Larry. Jetzt, wo das Schlimmste überstanden und Roz weder tot umgefallen noch geplatzt ist, sieht er erleichtert aus. »Und wir hätten gerne, daß du uns dabei hilfst, unsere Wohnung einzurichten.«
»Liebling«, sagt Roz mit einem tiefen Atemzug. »Es wäre mir ein Vergnügen.« Es liegt nicht daran, daß sie Vorurteile hat, und ihre eigene Ehe war schließlich kein so großartiges Argument für die Heterosexualität, und Mitch war es auch nicht, und sie will einfach nur, daß Larry glücklich ist, und wenn er vorhat, es auf diese Weise zu versuchen, fein, und vielleicht wird Boyce einen guten Einfluß auf ihn haben und ihn dazu bringen, seine Kleider vom Boden aufzuheben und dafür sorgen, daß er nicht in Schwierigkeiten gerät; aber es ist ein langer Tag gewesen. Morgen wird sie von ganzem Herzen warm und akzeptierend sein. Für heute abend jedoch wird ein bißchen Heuchelei genügen müssen.
»Mrs. Andrews, Sie sind der Sitte Spiegel und der Bildung Muster«, sagt Boyce.
Roz breitet die Arme aus, hebt die Schultern, läßt die Mundwinkel hängen. »Hab ich eine Wahl?« sagt sie.
Männer in Mänteln kommen ins Haus. Sie wollen viele Dinge über Zenia wissen. Welcher von ihren drei Pässen echt ist, falls überhaupt. Woher sie ursprünglich stammte. Was sie machte.Tony ist kooperativ, Charis vage; Roz ist vorsichtig, weil sie nicht will, daß Larry in die Geschichte hineingezogen wird. Aber sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen, weil keiner dieser Männer sich auch nur im geringsten für Larry zu interessieren scheint. Wofür sie sich interessieren, das sind Zenias zwei gepackte Koffer, die ordentlich auf dem Bett lagen, einer von ihnen mit elf kleinen Plastikbeuteln mit weißem Pulver. Ein zwölfter Beutel lag geöffnet neben dem Telefon. Kein Zucker für die Nase: Heroin, neunzig Prozent rein. Sie sehen sie aus unbeweglichen Gesichtern an, die Augen wie intelligente Kiesel, sie warten auf ein Zucken, ein Anzeichen schuldigen
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