Die Ranch
gedehnte Frage beschwor sofort ein Lächeln herauf. Seit sechsundzwanzig Jahren kannte sie diese Stimme und hatte sie monatelang nicht gehört, aber irgendwie waren sie immer füreinander da, in alter Freundschaft verbunden.
»Bist das du? Sekundenlang dachte ich, es wäre Alyssa.« In der Stimme am anderen Ende der Leitung schwang immer noch ein schwacher Texas-Akzent mit.
»Nein, ich bin's. Sie ist in Paris.« Seufzend spürte Mary Stuart eine starke Hand, die sie an Land zog. Erstaunlich, dass die Freundin in solchen Momenten immer da war. Bei dieser Erkenntnis erinnerte sich Mary Stuart an die Schlagzeile, die sie im Gristede's entdeckt hatte, und runzelte die Stirn. »Bist du okay? Heute Nachmittag habe ich was über dich gelesen.«
»Fabelhaft, nicht wahr? Vor allem, weil ich jetzt von einer Frau trainiert werde. Den Kerl auf dem
Enquirer-Titelblatt
habe ich letztes Jahr gefeuert. Heute rief er an und drohte, mich zu verklagen. Seine Frau ist stinksauer wegen dieses Fotos. Was die Boulevardpresse angeht, muss er noch sehr viel lernen.« Das alles hatte Tanya auf die harte Tour gelernt. »Um deine Frage zu beantworten – ja, ich bin okay. Einigermaßen.« Das sanfte Säuseln in ihrer Stimme trieb die meisten Männer zum Wahnsinn, und Mary Stuart lächelte, als sie es nach so langer Zeit wieder einmal hörte. Wie eine frische Brise in einem stickigen Raum. Das hatte sie schon bei der ersten Begegnung gespürt. Vor sechsundzwanzig Jahren waren sie in Berkeley aufs College gegangen. Verrückte Tage einer fernen Jugend. Freundinnen – Mary Stuart, Tanya, Eleanor und Zoe. Während der beiden ersten Jahre hatten sie ein Zimmer im College-Heim geteilt und sich dann ein Haus am Euclid gemietet.
Vier Jahre lang waren sie unzertrennlich gewesen wie Schwestern. Ellie war im letzten Studienjahr gestorben. Und mit dem College-Abschluss änderte sich alles. Jede ging ihrer eigenen Wege. Zwei Tage nach der Abschlussfeier trat Tanya mit ihrer Jugendliebe aus ihrer Heimatstadt in Ost-Texas vor den Traualtar.
Die Ehe hielt nur zwei Jahre, denn bereits einige Monate nach der Hochzeit begann Tanyas steile Karriere und zerstörte ihr Privatleben. Ein Jahr lang hielt Bobby Joe durch. Länger schaffte er's nicht. Das war nicht seine Welt. Eine gebildete, talentierte Frau jagte ihm schon genug Angst ein, aber mit einem Superstar kam er nicht zurecht. Er tat sein Bestes und versuchte, sie fair zu behandeln. Aber im Grunde wünschte er, sie würde auf ihren Erfolg verzichten und bei ihm in Texas bleiben. Er wollte seine Heimat nicht verlassen und weigerte sich, das Geschäft seines Vaters aufzugeben, ein florierendes Bauunternehmen. Und er wusste genau, was er konnte und was nicht. Von Boulevardjournalisten, Agenten, Konzerten, kreischenden Fans und Multimillionen-Dollar-Verträgen wollte er nichts wissen. All das gehörte jetzt zu Tanyas Leben. Sie liebte Bobby Joe, aber die Karriere, von der sie stets geträumt hatte, bedeutete ihr noch mehr. Am zweiten Hochzeitstag trennten sie sich, zu Weihnachten wurden sie geschieden. Er brauchte lange, um seine Enttäuschung zu überwinden, aber inzwischen war er wieder verheiratet und Vater von sechs Kindern. Tanya hatte ihn im Lauf der Jahre ein oder zwei Mal getroffen. Er sei fett und kahlköpfig geworden, erzählte sie, aber so nett wie eh und je. Dabei klang ihre Stimme etwas wehmütig. Sie wusste, welchen Preis sie für ihren Erfolg, ihre fantastische Karriere gezahlt hatte. Zwanzig Jahre nach dem Beginn ihrer Karriere war sie immer noch die Nummer Eins in der amerikanischen Rockszene.
Tanya und Mary Stuart hielten an ihrer Freundschaft fest. Im Sommer nach dem College-Abschluss hatte auch Mary Stuart geheiratet. Und Zoe begann Medizin zu studieren. Stets die Rebellin in ihrer Mitte und an allen revolutionären Umtrieben interessiert, war sie oft von den anderen geärgert worden, die behaupteten, sie sei zehn Jahre zu spät ans Berkeley gekommen. Unermüdlich kämpfte sie für die Gerechtigkeit und die Unterprivilegierten. Als Ellie gestorben war, hatte Zoe sie gefunden, verzweifelt geweint und irgendwie den Mut aufgebracht, Ellies Tante und ihren Onkel anzurufen. Für sie alle war das eine schreckliche Tragödie gewesen. Ellie hatte Mary Stuart am nächsten gestanden, ein wundervolles, sanftmütiges Mädchen voller idealistischer Gedanken und Träume. Zu Beginn ihres College-Studiums waren ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und die drei Zimmerkameradinnen ersetzten
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