Die Ratte des Warlords (German Edition)
kam es ihm vor, als ob die Männer darauf warteten, dass er sich ihnen näherte. Sie begegneten ihm mit stummem Respekt in den Augen, wenn auch gleichzeitig mit Furcht. Der Kapitän mied ihn in den nächsten Tagen, erst als der verletzte Matrose auf dem Weg der Besserung war, fing er zögernd wieder an, sich mit ihm zu unterhalten. Afrika sprach er nicht an.
Einige Tage später passierte das Schiff den Suezkanal. Kepler wäre am liebsten wegen der lascheren Zollkontrollen in Griechenland an Land gegangen. Er hatte allerdings nicht genug Geld, um die Abweichung vom Kurs und vom Zeitplan zu bezahlen. Als offizieller Frachtschiffreisender hätte er eine Deviationversicherung gehabt. Die deckte die Kosten ab, falls das Schiff wegen des Passagiers umgeleitet werden musste, bei einer Krankheit zum Beispiel. Wegen eines quasi Schwarzfahrers konnte der Kapitän kein Geld verlieren.
A ls das Schiff nach der Passage der Straße von Gibraltar in den Atlantik entlang der Küste der Iberischen Halbinsel fuhr, erfassten Kepler die lange unterdrückte Nervosität, die zurückgehaltene Vorfreude auf Zuhause und die Aufregung darüber, dass er seine Familie wiedersehen würde.
Eines Nachts, als sie in Höhe von Frankreich waren, ging Kepler mit dem Rucksack an Deck. In Europa herrschte Frühsommer, aber auf der offenen See peitschte ein kalter Wind. Kepler fror, ging aber nicht wieder hinein, um dickere Kleidung zu holen. Er warf die Glock17 über Bord, dann zog er das AWSM heraus, das letzte Ersatzmagazin, den Schalldämpfer und das Fernglas. Bis auf das Gewehr warf er alle Sachen ohne hinzusehen über Bord.
Das AWSM nahm er in die Hände und betrachtete es eine Weile. Unwillkürlich streichelten seine Finger über die Konturen der Waffe. Sie hatte einige Menschen vor dem Tod bewahrt, während sie ihn anderen gebracht hatte.
Kepler schob den Repetierhebel langsam zurück. Die geladene Patrone sprang heraus und fiel mit einem hellen Klang aufs Deck. Kepler trat sie mit dem Fuß über Bord, dann schob er den Verschluss zu. Dann, ganz schnell, um es sich nicht anders überlegen zu können, nahm er das Magazin ab und warf es weg.
Jetzt hatte die mächtige Waffe in seinen Händen nur noch einen Schuss. Ke pler legte an und suchte den Polarstern. Als er den leuchtenden Punkt sah, zog er langsam und gleichmäßig den Abzug durch. Der Donner des Schusses klang ohrenbetäubend in der nächtlichen Stille, die nur vom dumpfen Maschinengeräusch unter Deck und dem fließenden Wasser neben dem Schiff unterbrochen war. Kepler hielt das Gewehr noch einige Augenblicke lang nach oben gerichtet, dann warf er es ruckartig mit beiden Händen in die Tiefe des Ozeans.
Es fühlte sich seltsam wehmütig und einsam. Dann straffte er sich. Als er den Rucksack hochhob und sich umdrehte, sah er den ersten Offizier und einen Matrosen, die ihn schweigend beobachteten.
"Es hat uns einen guten Dienst erwiesen", sagte der Offizier schließlich.
Sie passierten den Ärmelkanal, dann den Nordseekanal.
Währenddessen malträtierte Kepler seinen Pass dahingehend, dass dem Dokument Seiten fehlten, wo einige Stempel sein sollten, und es sehr mitgenommen aussah. Am Tag darauf besorgte Kepler vom Schiffskoch einen Sack mit Orangen. Der Sack war aus Jute, hatte Trageriemen und fasste zwanzig Kilogramm der süßen Früchte. Weit unten zwischen den Orangen versteckte Kepler die Glock34, den Schalldämpfer, die Ersatzmagazine und sämtliche Unterlagen, die er hatte. Sollte man diese Dinge finden, könnte er abstreiten, von ihnen gewusst zu haben. In den Papieren war sein Name nicht vermerkt, deswegen riskierte er es. Etwas davon am Körper zu tragen erschien ihm gefährlicher. Zöllner konnten sehr gut abtasten und sie hatten eine riesige Erfahrung darin.
S chließlich fuhr die Estreil durch die vier Schleusen, dann legte sie im Amsterdamer Hafen an einem Kai an.
Beinahe sofort begann das Löschen der Ladung. Fast genauso schnell wie die Kräne die Container entluden, war der holländische Zoll am Bord des Schiffes.
Kepler stellte sich den Beamten der Zollbehörde als ebensolcher Vergnügungsreisende vor, für den er sich in Mombasa ausgegeben hatte. Die Beamten beäugten ihn erst argwöhnisch, aber als er ihnen in höchsten Tönen, niederländische Worte in seine Rede mischend, von der Romantik einer Frachtschiffsreise vorschwärmte, taten ihn die Beamten als harmlosen Spinner ab, zumal die Reste seines Passes echt waren.
Deutlich sichtbar für die Zollbeamten
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