Die Rattenhexe
auch keine Ausnahme. Es gelang mir, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, und wieder erlebte ich das gleiche wie in Rio. Wir wurden Freunde. Wir liebten uns. Sie waren es, die abermals zu meinen Wächtern und Beschützern wurden. Ich erhielt die Chance, mich aus den Fesseln dieses Jake Hollands zu lösen, denn er betrachtete mich längst als sein Eigentum, und zwischendurch hatte er sich trotzdem anderen Frauen zugewandt. Ich baute meine Rache allmählich auf. Auch ich suchte mir andere Männer, folgte dabei aber dem Zufallsprinzip.«
»Wie bei mir, nicht?«
»Ja.«
Ich schwieg. Es wurde kalt um uns herum. Die Feuchtigkeit hatte sich längst nicht nur in den Hosenbeinen festgesetzt, sie kroch durch den gesamten Körper, aber es war wichtig, wenn wir dieser Person zuhörten.
Außerdem mußte es hier noch einen Abschluß geben.
»Nur war es bei dir anders, John«, sagte sie.
»Wieso?«
»Ich weiß es nicht. Auf meinen Fahrten über Land habe ich mir viele Männer geholt. Ich wollte mich beweisen, und sie kamen auch immer irgendwie mit meinen Freunden in Kontakt. Keiner dieser Männer hat so reagiert wie du, John.«
»Was machte ich denn anders?«
»Es ging um die Ratten. Du hast nicht geflucht. Du bist nicht in Panik verfallen, sondern hast die Nerven behalten, was mich schon beeindruckte. Ich wollte wissen, was hinter dir steckt.«
»Und? Hast du es herausgefunden?«
»Nein.«
»Dein Pech.«
Sie lächelte uns an. »Kein Pech, John, denn jetzt bist du voll und ganz in meinem Umfeld gelandet. Hier herrsche ich. Dein Leben liegt ebenso in meinen Händen wie das deines Freundes. Wenn ich Antworten hören will, so werde ich sie bekommen, denke ich mal.«
»Dann frag.«
»Noch einmal, John Sinclair. Wer bist du?«
»Ein Polizist.«
Mehr sagte ich nicht, aber es reichte aus. Sie war überrascht und verlor einiges von ihrer Ruhe. Dabei schüttelte sie den Kopf wie jemand, der es nicht glauben kann, und sie fragte schließlich mit flüsternder Stimme:
»Du bist wirklich ein Polizist?«
»Ja, sogar jemand, der für Scotland Yard arbeitet.«
»Mord und…«
»Genau, Senta. Dann weißt du auch, was es bedeutet, nehme ich an.«
Ihre dunklen Augen funkelten. »Soll ich dich jetzt fragen, ob du mich für eine Mörderin hältst?«
»Bist du denn eine?«
»Soll ich es sein? – Ich hätte viele töten können.« Sie lachte, nachdem sie uns die Antwort entgegengefaucht hatte. »Aber ich habe es nicht getan. Ich brauchte es auch nicht zu tun, verstehst du?«
»Nein, das verstehe ich nicht«, erwiderte ich und hatte dabei schon gelogen.
»Andere übernahmen es für mich. Meine Beschützer waren eben immer zur Stelle.«
»Dann bist du eine indirekte Mörderin.«
»Du kannst es so sehen.«
»Und du wirst auch weiter machen, denke ich. Du bist bei deinen Ratten glücklich.«
Ihr Gesicht sah aus, als wäre soeben die Sonne aufgegangen. »Ja, ich fühle mich gut und glücklich, wenn ich meine Freunde um mich habe.«
Sie fing damit an, die nassen Rattenkörper zu streicheln, und Suko, der neben mir stand, schüttelte nur den Kopf. »Mörderin«, sprach sie mehr zu sich selbst. »Bin ich eine Mörderin?« Sie streichelte wieder ihre nassen Ratten. »Ich bin nur jemand, der auf der Welt glücklich sein will. Das ist alles.« Sie sprach wieder mit ihren Freunden. »Da lassen wir uns von niemandem stören, nicht wahr?«
Das galt uns, und wir merkten, wie das Gespräch allmählich umschwenkte.
Sie hob den Kopf. Der Blick, der uns erwischte, war schon kalt und lauernd.
Es würde nicht friedlich abgehen, das stand fest, und dieser Meinung war auch Suko. Zumindest interpretierte ich sein Nicken so. Uns kam diese Person vor, als wäre sie dabei, in ein Trauma zu versinken.
Unablässig streichelte sie ihre Ratten, als wollte sie die Tiere durch das Auflegen der Hände beruhigen. Sie lachte mal, sie redete wieder, ihre Stimme wurde schriller, und plötzlich hob Senta ruckartig den Kopf.
»Bin ich eine Mörderin?« schrie sie.
»Das mußt nur du wissen!«
»John, ich will es von dir wissen!« Ihre Stimme war tiefer geworden. Sie kratzte sogar im Hals, und es hörte sich an, als hätte sie die Worte hervorgegurgelt.
»Du hast den Ratten einen Mord befohlen.«
»Ja, das stimmt«, gab sie zu. »Wollt ihr mich deshalb etwa vor ein Gericht stellen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wie wollt ihr es beweisen?«
»Es waren genügend Zeugen dabei, als die Ratten in der Bar losgelassen wurden.«
Ich wußte, daß meine Antwort auf
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