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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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manchen Tagen waren es nur ganze drei Unzen pro Kopf, also nicht einmal hundert Gramm. Deshalb konnte keine Rede davon sein, dass die Menschen gespeist wurden. Sie wurden lediglich vor dem Hungertod bewahrt.
    Heute war die Stimmung gereizt. Der neue Aufseher aus Dublin hatte eine genaue Vorstellung, wie die Verteilung vonstatten zu gehen hatte. Alles, was Maureen wollte, war etwas Mehl, damit sie den Kindern einen Brei kochen konnte. Doch das wurde ihr versagt.
    »Es gibt kein Mehl«, rief der Mann und fügte laut, damit es alle hören konnten, hinzu: »Wenn Sie diesen Leuten das Mehl so geben, verkauft die Hälfte ihre Ration und betrinkt sich mit dem Geld.« Maureen kannte niemanden, dem sie eine solche Dummheit zutraute, aber der Mann blieb hart. Also mussten alle warten, bis man aus dem Mehl einen Brei gekocht hatte. »Und im gekochten Zustand«, sagte eine Frau vor ihr, »zerkrümelt es so, dass man es nicht nach Hause tragen kann, ohne dass Stückchen davon auf die Straße fallen. Wir füttern zuerst die Vögel, dann unsere Kinder.«
    In der Schlange standen die unterschiedlichsten Leute. Wenn es Arme nach dem Gesetz waren, so sah Maureen darunter mehrere kleine Handwerker und Händler, die nach dem Rückgang der Geschäfte nun beinahe ebenso mittellos waren wie sie. Der übertrieben diensteifrige Kerl aus Dublin war überdies fest entschlossen, keine Wohltaten an Unwürdige zu verschwenden.
    »Nur wer auf meiner Liste steht«, rief er. »Alle, die auf meiner Liste stehen, sollen herkommen und sich eine Karte holen. Wer eine Karte hat, muss in der Schlange warten, bis er an der Reihe ist.« Und an einen Helfer gewandt: »Hier geht es gerecht zu. Sie müssen diese Leute mit Luchsaugen beobachten.«
    Er rief einen nach dem anderen auf. Als Maureen an die Reihe kam, fragte er sie: »Wo ist Ihr Vater? Hier steht, dass Sie einen Vater haben. Ist er bei der Arbeit?«
    »Nein, Sir«, antwortete sie.
    »Morgen möchte ich euch alle hier sehen. Vater, drei Schwestern, Bruder. Alle, damit das klar ist, sonst bekommt ihr nichts.«
    Dank dieser umständlichen Prozedur musste sie fünf Stunden anstehen, ehe sie endlich eine kleine Portion Mehlbrei erhielt, die sie schwerlich ernähren konnte. Sie machte sich gerade auf den Nachhauseweg, als sie Nuala erblickte.
    Sie lehnte am Ende einer Gasse in einem Torweg. In der Annahme, dass dort die Wäscherin wohnte und Nuala gerade eine Pause machte, wollte Maureen zu ihr gehen, um sie zu fragen, wann sie nach Hause komme. In diesem Augenblick sah sie einen Mann aus der anderen Richtung durch die Gasse schlendern. Nur ein ärmlich aussehender Handwerker. Er blieb bei Nuala stehen. Die beiden wechselten ein paar Worte und verschwanden zusammen im Torweg. Da verstand sie. Vor lauter Schreck ließ sie den Mehlbrei fallen, sodass er auf dem Boden zerstob. Sie musste die Pampe so gut es ging zusammenkratzen und schmutzig, wie sie war, nach Hause tragen. Als ihr Vater die Bescherung sah, warf er ihr einen ärgerlichen Blick zu und sagte: »Deine Geschwister werden heute Abend Straßendreck essen, Maureen. Es ist mir unbegreiflich, wie dir so etwas passieren konnte.« Sie entschuldigte sich und sagte, es sei ihr ebenfalls unbegreiflich.
    Später am Abend, als sie mit Nuala allein war, erzählte sie ihr, was sie beobachtet hatte. Aber Nuala zuckte nur mit den Schultern.
    »Ich wollte nicht, dass du es erfährst, Maureen, aber es gibt keine Arbeit, und da ich jung bin, kann ich wenigstens auf diese Weise etwas verdienen.«
    »Mein Gott, du bist noch so jung, Nuala, es wäre besser, ich wäre an deiner Stelle.«
    »Das glaube ich nicht, Maureen. Ich bin ziemlich begehrt. Ist dir klar, dass ich schon fünf Shilling gespart habe?« Sie lächelte gequält. »Wenn die Zeiten besser wären und ich einen reichen Mann finden könnte …«
    »So darfst du nicht reden. Du musst damit aufhören, Nuala.«
    »Aufhören?« Sie sah ihre Schwester beinahe zornig an. »Sei nicht albern, Maureen. Wie sollen wir denn die nächste Miete bezahlen, wenn Vater nichts verdient?« Sie beruhigte sich wieder und gab Maureen einen Kuss. »Wir alle tun, was wir können, Schwesterherz. Du führst den Haushalt, und ich verkaufe meinen Körper. Was spielt das für eine Rolle?«
    »Sag Vater nichts davon. Es würde ihn umbringen.«
    Am nächsten Morgen machte sich die ganze Familie, Eamonn und Nuala eingeschlossen, auf den Weg zur Suppenküche. Ihr Vater war sehr still. Er ging aufrecht, wie immer, aber er schlug die Augen

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