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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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werden«, sagte sie vorwurfsvoll.
    »Wenn man sich erwischen lässt.« Er zog den Mantel aus. »Ich glaube, ich lege mich eine Weile hin. Ich bin etwas müde.« Er seufzte. »Jetzt könnte ich einen Schluck vertragen.«
    Nuala lächelte.
    »Den kannst du haben«, sagte sie.
    Dass die Familie an Weihnachten reichlich zu essen hatte, blieb eine Ausnahme, die sich nicht wiederholte. Die Bauern wachten fortan streng über ihr Vieh, und auf dem Markt gab es weniger zu kaufen denn je. Mitte Januar bemerkte Maureen, dass Caitlin ganze Haarbüschel ausfielen. Und noch beunruhigender war, dass ihr wie zum Ausgleich in der oberen Gesichtshälfte ein dichter Flaum wuchs, mit dem sie wie ein trauriger kleiner Affe aussah. Das Gleiche beobachtete Maureen an mehreren Nachbarskindern. Offensichtlich eine Folge der mangelhaften Ernährung. Einmal, als sie mit ihrem Vater darüber gesprochen hatte – leise und außer Hörweite der Kinder, wie sie meinte –, ging sie anschließend nach nebenan und sah, wie Daniel seiner Schwester gerade sein bisschen Essen gab. »Damit die Haare in ihrem Gesicht wieder auf dem Kopf wachsen«, sagte er. Von ihren Gefühlen überwältigt, legte sie den Arm um ihn und rief: »Du lieber kleiner Junge.«
    Danach musste sie darauf achten, dass er seine Ration selber aß.
    Eine gewisse Hilfe stand in Aussicht. Doch wieder sollte die Regierung ihre besondere Gabe unter Beweis stellen, jede gute Tat mit einer Beleidigung und Kränkung zu verknüpfen.
    »Sie wollen Suppenküchen einrichten«, sagte ihr Vater eines Tages.
    »Dann bekommen wir also zu essen?«
    »Vielleicht.« Er schien nicht erfreut. »Sie werden nach den Armengesetzen eingerichtet. Nur die Armen werden gespeist.« Er schnaubte. »Noch nie ist ein Madden als armer Mann bezeichnet worden.«
    »Du bist kein armer Mann, Vater. Du hast Arbeit.«
    »Aber sie werden die öffentlichen Bauarbeiten einstellen. Mr Smith hat mir versprochen, dass er uns so lange wie möglich weiter beschäftigt. Sie werden in Ennis fast gleichzeitig zwei Küchen eröffnen. Die offiziellen Küchen machen irgendwann im Februar auf.«
    »Wir müssen die Kinder ernähren, ganz gleich wie man uns nennt, Vater«, sagte sie.
    »Ich weil?.«
    Aber die Eröffnung der Küchen zog noch eine weitere Konsequenz nach sich. Da nach den Armengesetzen die Gemeinden die Kosten für Hilfsleistungen zu tragen hatten, mussten die Bürger von Ennis die Küchen finanzieren. Und da eine Subventionierung von Nahrungsmitteln nicht in Frage kam, weil sie den Markt schädigen würde, musste man die Produkte für die Suppenküchen zu den gegenwärtigen hohen Preisen einkaufen.
    Eines Morgens Anfang Februar erschien Nuala in der Kate.
    »Ich habe meine Arbeit verloren«, sagte sie einfach nur.
    »Oh, Nuala, haben sie entdeckt, dass du an Weihnachten etwas gestohlen hast?«
    »Überhaupt nicht. Das ist nicht der Grund. Aber sie müssen so hohe Abgaben für die Suppenküchen entrichten, dass sie zu mir gesagt haben: ›Du oder die Suppenküchen, beides können wir uns nicht leisten.‹«
    »Nun, hier ist dein Zuhause, und wir freuen uns, dass du wieder da bist«, sagte ihr Vater bestimmt. Doch nachdem er gegangen war, wandte sich Maureen an ihre Schwester.
    »Was sollen wir jetzt tun, Nuala?«
    »Ich werde schon etwas finden«, versprach Nuala.
    Zwei Tage später kam Eamonn von einem Besuch bei dem Mann zurück, von dem er den mock ground gepachtet hatte.
    »Er kann mir nichts mehr verpachten, selbst wenn ich bezahlen könnte«, berichtete er, »weil er keine Saatkartoffeln bekommt. Er hat alle Parzellen an einen Bauern verpachtet, der Getreide anbaut.« Er machte eine hilflose Geste. »Ich habe überall in der Stadt herumgefragt, aber es ist überall dasselbe. Kartoffelfäule hin oder her, die Ernte wird dieses Jahr auf jeden Fall miserabel ausfallen, weil so wenig Kartoffeln gepflanzt werden.«
    Den ganzen Monat hindurch erreichten Nachrichten aus anderen Gegenden die Stadt. Wenn Menschen in Ennis am Rand des Verhungerns standen, so war die Lage in den abgelegenen Gebieten offenbar noch viel schlimmer. Selbst wenn die Suppenküchen solche Orte erreichen sollten, würden sie zu spät kommen. Oben in den einsamen Gegenden von Galway, Sligo und Mayo waren bereits Hunderte oder Tausende verhungert. Kleinkinder und Alte waren die Ersten, die starben, aber beileibe nicht die Einzigen. Wer aufgab und zu Fuß in die Städte aufbrach, ging ein hohes Wagnis ein. Menschen wurden unterwegs dahingerafft, und wer

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