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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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nieder und mied die Blicke anderer, statt wie sonst unerschrocken und stolz in die Welt zu blicken. Sie wusste, dass er innerlich bei jedem Schritt zusammenzuckte. Als sie ankamen, wurden ihre Namen überprüft, aber der gefühllose Kerl, der die Namen aufrief, ließ sie vier Stunden warten, ehe sie ihre Ration bekamen. Sie wusste, dass ihr Vater mit jeder Minute, die verstrich, auf der Leiter der Erniedrigung in seinem Innern eine Sprosse tiefer fiel. Und unablässig betete sie im Stillen, dass niemand auf ihre Schwester zutrat und etwas zu ihr sagte, das verriet, welchem Gewerbe sie neuerdings nachging.
    ***
    So sehr sich Maureen um ihre Schwester sorgte, so erleichtert war sie doch auch, als Nuala bald darauf immer wieder Lebensmittel mit nach Hause brachte: einen Laib Brot, einen kleinen Schinken, einen Kohlkopf. Ihrem Vater gegenüber behaupteten die Schwestern, sie hätten die Sachen in der Stadt gekauft, aber Nuala gestand ihr: »Ich habe einen Krämer, dem ich gefalle. Er weiß, was ich brauche, und so bezahlt er mich mit Naturalien.« Maureen wusste nicht, was sie dagegen sagen sollte, denn die Lebensmittel waren ein wahrer Segen. Die Kinder brauchten sie. Selbst Caitlin sah etwas besser aus.
    Am schnellsten erholte sich freilich der kleine Daniel. Sechsjährige waren oft von zarter Gesundheit, aber gottlob war der einzige Sohn, der dem Vater geblieben war, ein zähes Kerlchen. Er schien unverwüstlich. Noch vor kurzem hatten seine blauen Augen so groß und stier aus seinem eingefallenen Gesicht geblickt, dass sie heimlich um ihn gezittert hatte. Nun aber, nach ein paar Tagen nahrhafterer Kost, hatte er schon etwas Fleisch angesetzt und kam wieder zu Kräften. Wenn sie zusammen in die Stadt gingen, hielt er nicht mehr ihre Hand und schlurfte neben ihr her, sondern entwand sich ihrem Griff und lief sogar voraus.
    Eine weitere Ermutigung erfuhr sie, als sie eines Morgens mit Daniel zur Suppenküche kam und feststellte, dass sich etwas geändert hatte. Statt für eine Tageskarte anzustehen, wurden sie aufgefordert, sich eine Monatskarte zu holen. Sie beobachtete, dass es in der Warteschlange schneller voranging, und sie erfuhr, dass das Mehl jetzt wieder roh ausgegeben wurde, sodass sie nicht warten mussten, bis davon ein Brei gekocht war. »Wir haben einen neuen Aufseher«, sagte ihr eine der Frauen, aber wer es war, erfuhr sie erst, als der kleine Daniel plötzlich zu der Stelle rannte, wo der Mann gerade eine Lieferung Mehl kontrollierte.
    »Es ist Mr Smith«, rief er. »Mr Smith«, sagte er zu den Umstehenden, »ist unser Freund.«
    Maureen eilte hinzu und entschuldigte sich für die Störung, aber Stephen Smith schien es überhaupt nichts auszumachen. Man habe ihn gebeten, erzählte er, für Erste die Aufsicht über die Suppenküchen von Ennis zu führen. Sein Vorgänger sei entlassen worden. Er richtete seinen Blick auf Daniel.
    »Sag mir noch mal, wie du heißt«, forderte er ihn freundlich auf.
    »Daniel, Sir.«
    »Ach ja. Ein vorzüglicher Name.«
    »Ich bin nach Daniel O’Connell benannt worden.«
    »Ich kenne Mr O’Connell gut.«
    »Weiß er, dass ich nach ihm benannt bin?«
    Stephen zögerte nur einen Sekundenbruchteil, dann lächelte er Maureen zu und antwortete:
    »Aber natürlich weiß er das. Und er freut sich sehr darüber.«
    Dem kleinen Daniel schwoll die Brust vor Stolz. Maureen segnete die Freundlichkeit des Mannes im Stillen und wunderte sich über sie. Und da den Leuten an der Mehlausgabe nicht entgangen war, dass sie mit dem neuen Aufseher auf gutem Fuß stand, gaben sie ihr, als sie an die Reihe kam, etwas mehr, als sie ihr sonst gegeben hätten.
    ***
    Am zweiten April fühlte sich Eamonn Madden unwohl.
    »Ich habe heute überhaupt keine Kraft«, sagte er am Morgen. Er wirkte etwas ratlos. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Normalerweise ignorierte er alle Beschwerden, so wie ein König klagende Untertanen ignoriert.
    Maureen ging wie gewöhnlich mit Daniel nach Ennis.
    Am Abend bemerkte sie, dass ihr Vater zitterte, und er gestand ihr, dass er Kopfschmerzen habe. Sie befühlte ihm die Stirn und spürte, dass er Fieber hatte. Zum Glück hatte sie etwas Fleischbrühe kochen können, und sie gab ihm davon. Am nächsten Morgen war sein Zustand unverändert. Am Abend glühte seine Stirn.
    »Besser, du hältst die Kinder von mir fern«, sagte er zu ihr und bestand darauf, in den hintersten Raum zu gehen, in dem sie früher ihre Kartoffeln gelagert hatten. Sie bereitete ihm mit einer Decke und

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