Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
ging zu Ende. Wie wurde dieses Wunder vollbracht? Nun, auf die einfachste Art, die man sich vorstellen kann: Die Hungersnot wurde per Gesetz abgeschafft. Es musste sein. Die Whigs standen vor Parlamentswahlen.
    Die britische Öffentlichkeit war die Hungersnot in Irland leid. Schließlich hatten alle ihr Bestes getan. Als man im Frühjahr einen Freiwilligenfonds für die Nothilfe in Irland und Schottland eingerichtet hatte, spendete Königin Viktoria persönlich zweitausend Pfund, und innerhalb kurzer Zeit kam fast eine halbe Million Pfund Sterling zusammen, eine gewaltige Summe, die weit den Wert der Hilfsgüter überstieg, die in Amerika lebende Iren und ihre Freunde mit über einhundert Schiffen über den Atlantik schickten. Die Regierung selbst hatte Millionen ausgegeben. Im Frühsommer konnten die Suppenküchen zudem häufig ein nahrhaftes Gemisch aus Mais, Reis und Hafer anbieten, und es gab mehr als genug für alle. Die Nahrungsmittelknappheit war überwunden.
    Allerdings unter hohen Kosten. Die Aufwendung von Steuergeldern für Irland konnte nicht unbegrenzt weitergehen. Inzwischen, so glaubten viele Briten, müssten die Iren doch in der Lage sein, ihr Haus aus eigener Kraft in Ordnung zu bringen. Redner warfen der Regierung Verschwendung vor. Zeitungen brachten Artikel über falsch verstandene Menschlichkeit: Man dürfe, so schrieben sie, zu den Iren nicht übertrieben freundlich sein, sonst untergrabe man ihre Selbstachtung.
    In Anbetracht der allgemeinen Stimmung im Land und der bevorstehenden Wahlen beschloss die Regierung, das zu tun, was Regierungen seit jeher tun: »Wenn du einen Krieg nicht gewinnen kannst, erkläre dich zum Sieger.«
    Immerhin schien die diesjährige Kartoffelernte von der Fäule verschont zu bleiben, und beim irischen Getreide zeichnete sich eine Rekordernte ab. Dass die armen Iren kein Geld hatten, um sich Getreide zu kaufen, war ein Detail, über das man hinwegsehen konnte. Solche Dinge regelte der Markt.
    Außerdem war man auf eine glänzende Idee gekommen. Im Juni jenes Jahres verabschiedete das britische Parlament ein Gesetz, das die Nothilfe in Irland von Grund auf neu regelte. Das Gesetz zur Ausdehnung des Armengesetzes war ein brillantes Instrument. Ab sofort konnten sich alle Bedürftigen an das örtliche Arbeitshaus wenden, wo sie entweder kaserniert oder versorgt wurden. Die Kräftigen hatten natürlich keinen Anspruch auf Nahrungshilfe. Verschiedene Klauseln im Gesetz sollten verhindern, dass die Großzügigkeit missbraucht wurde. Wer einen Garten besaß, in dem er Gemüse für den Eigenbedarf zog, war abzuweisen. Und zumindest die Männer sollten zu Arbeiten wie Steineklopfen gezwungen werden – beispielsweise zehn Stunden am Tag –, um von jedem Versuch abzuschrecken, sich Zuwendungen zu erschleichen. Allerdings wurden auf diese Weise den örtlichen irischen Stellen die Kosten aufgebürdet. Und das war ganz im Sinne des Gesetzgebers, denn sobald das Gesetz in Kraft trat – voraussichtlich gegen Ende des Sommers –, konnte man die gegenwärtigen kostspieligen Suppenküchen schließen und den arg strapazierten englischen Steuerzahler entlasten.
    Die große Hungersnot in Irland wurde also per Gesetz beendet. Da sie nicht mehr offiziell war, existierte sie auch nicht mehr. Und wenn doch, dann war sie ein rein irisches Problem. Das war ein Tribut an die Flexibilität der Union.
    So konnte die britische Regierung voller Zuversicht und in dem Bewusstsein, ihre Pflicht getan zu haben, vor den Wähler treten.
    ***
    Stephen Smith war in höchstem Maße überrascht, als er eines Julitages auf der Straße Samuel Tidy entdeckte, der mit nachdenklichem Blick vor der Suppenküche stand. Er ging sofort zu ihm. Der Quäker war über diese Begegnung nicht weniger überrascht. Er lauschte aufmerksam, als Stephen ihm in aller Kürze erklärte, was er hier machte, dann berichtete er seinerseits, dass er nach Ennis gekommen sei, um festzustellen, wie die Quäker helfen könnten. Da Stephen am Abend in Charles O’Connells Haus erwartet wurde, schlug er Tidy vor, ihn zu begleiten. O’Connell werde ihn bestimmt mit Freuden willkommen heißen.
    Stephen hatte sich in letzter Zeit häufig mit Daniel O’Connells Cousin getroffen. Obwohl er gewusst hatte, dass es dem großen Mann gesundheitlich nicht gut ging, war er tief betroffen gewesen, als der Befreier im Mai 1847 auf einer Pilgerreise nach Rom gestorben war. Natürlich hatte er umgehend Charles O’Connell aufgesucht, und seitdem hatten

Weitere Kostenlose Bücher