Die Rebellen von Irland
all diesen Monaten hatte die Familie Stephen Smith nicht gesehen. Kurz nach seiner Rückkehr im Dezember hatte er sich mit Lord Mountwalsh über seine berufliche Zukunft beratschlagt, und der Earl hatte ihn daraufhin mit diversen Aufträgen betraut, die ihn nach Wexford, in den Westen und einmal nach London führten. Erst Ende Juni schickte er Tidy einen Brief, in dem er ihn wissen ließ, dass er in Dublin sei, und anfragte, ob er vorbeischauen könne.
Maureen war noch mit den Kindern beschäftigt, als er eintraf. Bis sie zu ihnen stieß, gab es viel zu bereden.
Dublin war von den Auswirkungen der Hungersnot nicht verschont geblieben. Zwar gehörte die ländliche Region um die Hauptstadt zu den am wenigsten betroffenen Gebieten der gesamten Insel. Doch aus entfernteren Gegenden strömten unablässig Menschen nach Dublin in der Hoffnung, emigrieren zu können oder zumindest ein Obdach zu finden. Und die Stadt hatte sich der Herausforderung im Großen und Ganzen gewachsen gezeigt. Kirchen und Wohlfahrtsvereine, nicht zuletzt natürlich die Quäker, hatten dafür gesorgt, dass die Neuankömmlinge Nahrung bekamen. Selbst am eleganten Merrion Square gab es eine große Suppenküche. Und der Zustrom der Flüchtlinge verebbte nicht.
»In Clare herrschen immer noch dieselben Zustände wie bei Ihrem Besuch, nur dass die Regierung jetzt gezwungen ist, auch die Arbeitsfähigen zu versorgen. Nach den vorliegenden Zahlen werden in ganz Irland zurzeit achthunderttausend Menschen außerhalb der Arbeitshäuser unterstützt, und nahezu die Hälfte von ihnen ist arbeitsfähig. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele Menschen am Verhungern sind, denn niemand weiß es und niemand will es wissen. Aber in jedem Arbeitshaus im Westen sterben Woche für Woche fünfzig, achtzig oder gar hundert Insassen, vorwiegend Kinder.«
»Und die Kartoffelernte?«
»Dieses Jahr hat man doppelt so viel gepflanzt wie letztes Jahr, aber das ist immer noch weniger als die Hälfte im Vergleich zu der Zeit vor der Kartoffelfäule. Wir werden auf eine gute Ernte hoffen müssen. Übrigens ist mir aufgefallen, dass man hier nicht mehr Menschen auf der Straße schlafen sieht als früher. Wo bringt man sie alle hin?«
»Das kann ich leicht beantworten, Stephen. In die großen Häuser, die in den Tagen vor der Unionsakte der ganze Stolz Dublins waren. Neulich war ich drüben auf der Nordseite. Ich bin die Sackville Street hinauf und um den Mountjoy Square herumgegangen. In jeder Straße das gleiche Bild. Die großen Reihenhäuser, in denen früher jeweils nur eine Familie wohnte und die später in Wohnungen umgewandelt wurden, sind jetzt Mietskasernen. Oft haust eine ganze Familie in einem einzigen Zimmer. Auf diese Weise könnten wir wahrscheinlich halb Irland hier unterbringen. Im Schmutz, natürlich.«
Sie hatten dieses Gespräch gerade beendet, als Maureen mit den jüngeren Kindern eintrat.
Sie trug ein einfaches Baumwollkleid mit leichtem Spitzenbesatz. Ihr Haar war gescheitelt und zurückgebunden, aber leicht gelockt und hatte vom regelmäßigen Bürsten einen matten Glanz, den er noch nie gesehen hatte. Er ging ihr entgegen und lächelte.
»Holla, Holla, Miss Madden, Sie sehen blendend aus.«
Sie errötete.
Er begriff sofort, dass er einen Fehler begangen hatte. Eine Frau wie sie war Komplimente natürlich nicht gewöhnt. Er musste sich künftig hüten, ihr Nettigkeiten zu sagen, die über das Übliche hinausgingen.
Er erkundigte sich höflich nach ihrem Befinden und dem der Kinder, dann sagte er, an alle gewandt, dass er eine große Neuigkeit habe.
»Ich muss Sie bitten, sich mit mir zu freuen. Nachdem mich Lord Mountwalsh mit einigen Aufträgen betraut hatte, zweifellos um zu sehen, wie ich mich dabei anstelle, hat er mir einen Posten als sein Geschäftsagent angeboten. Sein früherer Agent ist alt und wollte die Bürde unbedingt weitergeben. Ich muss sagen, das ist sehr anständig von Seiner Lordschaft, und einen besseren Arbeitgeber kann ich mir kaum vorstellen.«
Sie gratulierten ihm alle herzlich.
»Wo werden Sie wohnen?«, fragte Tidy.
»Für den Agenten gibt es unten in Mount Walsh ein Haus. Aber ich werde in seinem Auftrag häufig nach Dublin reisen müssen. Der Umfang seiner Geschäfte ist beträchtlich, wie Sie ja wissen.«
»Sie müssen uns versprechen, dass Sie uns besuchen, wenn Sie in der Stadt sind«, sagte Tidy.
»Das werde ich«, erwiderte Stephen und lächelte in die Runde.
Erst am späten Abend, als sie zusammen im Bett
Weitere Kostenlose Bücher