Die Rebellen von Irland
Gegend und ein erfolgreicher Maler. »Und das«, sagte William schließlich und deutete auf einen Mann mit schütterem Haar, energischem Gesicht und forschem Schritt, »ist William Rowan Hamilton, der berühmte Professor aus Dublin. Haben Sie schon einmal von seinen Quaternionen gehört?«
»Nein.«
»Hatte ich auch nicht. Aber er hat die Formel für sie entdeckt, was für Mathematiker von enormer Bedeutung ist. Man stellt ihn fast auf eine Stufe mit Newton. Und er ist geborener Ire.« Er lächelte. »Was für ein seltsames Gemenge dieses Irland doch ist, Stephen. Auf der einen Seite die Tragödie und Schande der Hungersnot, und auf anderen Gebieten sind wir führend in der Welt.«
»Ich wünschte«, seufzte Stephen, »ich hätte eine bessere Ausbildung genossen.«
»Sie haben etwas aus sich gemacht«, erwiderte der Earl, »aber ich weiß, was Sie meinen.« Und dann murmelte er etwas, das sich anhörte wie: »Legen Sie sich einen Sohn zu.«
Vielleicht hätte Stephen damit rechnen müssen, so aber traf es ihn völlig unvorbereitet, als sie ins Haus zurückkehrten und plötzlich Caroline Doyle vor ihm stand, oder Caroline Barry, wie man sie jetzt nennen musste. Sie war soeben mit ihrem Mann eingetroffen, der in einem anderen Flügel weilte.
Sie begrüßte ihn freundlich, und sie plauderten ein paar Minuten lang recht ungezwungen.
***
»Und das Merkwürdige daran war«, berichtete er eine Woche später dem Ehepaar Tidy, »dass ich überhaupt nichts empfand.«
Sie befanden sich im Salon der Familie. Maureen saß still in einer Ecke. Es gab sehr wenige Menschen, mit denen er über persönliche Dinge sprechen konnte, doch aus irgendeinem Grund hatte er bei den Tidys keine Hemmungen, es zu tun. Dass Maureen im Zimmer war, störte ihn nicht.
»Immerhin hatte ich zärtliche Gefühle für sie gehegt, und als sie einen anderen vorzog, empfand ich, wie ich gestehen muss, nach dem ersten Schmerz auch einen gewissen Groll.« Er lächelte. »Das war töricht von mir. Vielleicht sogar unverzeihlich. Aber so war es.«
Die Begegnung mit Caroline war wirklich sehr angenehm gewesen. Er hatte eine heitere Frau vor sich gesehen, etwas fülliger als früher, glücklich verheiratet und Mutter eines Kindes. Sie benahm sich in seiner Gegenwart völlig ungezwungen, und der Umstand, dass sie an ihm als Mann überhaupt nicht mehr interessiert war, hatte wohl ein Wiederaufflammen seines früheren Begehrens verhindert. Tags darauf waren sie als Freunde voneinander geschieden. »Es ist erfreulich«, sagte er, »dass sich Liebe in Freundschaft verwandeln kann.«
Mrs Tidy betrachtete ihn mit mildem Blick. Sie war eine kleine, adrette Frau mit flachsfarbenem Haar, das von Natur aus kleine Locken bildete.
»Es gibt noch etwas Besseres, Stephen«, sagte sie. »Wenn nämlich aus Freundschaft Liebe wird.«
»Ah ja«, erwiderte Stephen. »Da haben Sie wohl Recht.«
»Sie wissen nicht sehr viel über die Dinge des Herzens«, sagte Mrs Tidy freundlich.
»Nicht?«
»Nein.«
Kurz bevor er ging, nahm ihn Tidy auf die Seite.
»Ich muss Sie um einen Gefallen bitten«, sagte er. Natürlich war Stephen gern bereit, sein Möglichstes zu tun. »Es geht um Maureen Madden«, erklärte der Quäker. »Als Sie sie gerettet haben, war sie ganz allein auf der Welt. Aber sie hat noch Angehörige. Einen Bruder und zwei Schwestern. Nur weiß sie nicht, wo sie leben, ja, ob sie überhaupt noch leben. Könnten Sie nicht mit ihr reden und dann ein paar Nachforschungen anstellen? Vielleicht lässt sich etwas in Erfahrung bringen.«
»Aber gewiss«, sagte Stephen und versprach, am nächsten Tag wiederzukommen und mit ihr zu sprechen.
***
Das folgende Jahr war für die Familie Tidy nicht leicht. Als Mitverantwortlicher für die Hilfslieferungen reiste Samuel Tidy zweimal hinunter nach Cork und hinüber nach Limerick. Jedes Mal kam er noch niedergeschlagener zurück als beim vorigen Mal. Ein Grund war die neue Seuche, die im November auf der Insel ausgebrochen war.
Der Ausbruch der Cholera kam nicht unerwartet. Die Seuche grassierte schon seit geraumer Zeit in weiten Teilen Europas, und so war fast unvermeidlich, dass sie irgendwann auch nach Irland übersprang, wo sie über die Trink- und Abwassersysteme den Weg in die Hafen- und Marktstädte fand, in denen zahlreiche geschwächte Menschen Zuflucht suchten. Sie wütete über sechs schreckliche Monate lang im ganzen Land und fügte den bekannten Todesursachen eine neue hinzu.
»In den Arbeitshäusern haben wir
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