Die Rebellin von Leiland 2: Das Gift des Herzogs (German Edition)
getötet!«, brachte der Vogel mit vor Hass und Rachedurst verzerrter Stimme hervor. » Du wirst niemals an ihre Stelle treten!«
Joran hatte seinen Zorn nicht an Korta auslassen können, der von den die ganze Burg umwogenden Wellen der Bosheit des Hexergeists geschützt wurde, aber er brauchte einen Schuldigen, an dem er seine Verzweiflung austoben konnte. Er hatte nichts mehr zu verlieren. Elea war nicht nur der Schlüssel zur Freiheit gewesen, sondern seine Tochter. Andin war das ideale Opfer. Er hatte ihn ja gewarnt!
Joran verfügte über weitaus mehr Kraft als Andin; er spürte, wie der Arm des Prinzen unter seinem Gewicht vor Schwäche zitterte. Er wollte dem jungen Mann mit den Krallen die Innereien herausreißen, aber Andin dachte nicht daran, schon zu sterben: Er rammte ihm die Beine mitten ins Gesicht, um sich loszumachen. Der Tritt warf Joran um. Aber er war unsterblich: Was machten die Heftigkeit und die Kraft des Aufpralls schon aus? Er würde jedes Mal wieder aufstehen!
Das Ungeheuer erhob sich mitten in der Verwandlung, um sich erneut auf Andin zu stürzen, als es von einem Schwerthieb getroffen wurde, der es beinahe in zwei Teile spaltete. Joran brach zu Cebans Füßen zusammen.
Eleas Bruder konnte selbst kaum fassen, was er gerade getan hatte.
» Lauf, Andin«, brachte er schwach hervor.
Von seinem Schwert tropfte Blut, doch es war nicht von Dauer: Es verschwand von der Klinge ebenso wie von Jorans Bauch.
» Lauf, Andin!«, schrie Ceban. » Über die Brücke-ohne-Wiederkehr! Das ist deine einzige Chance!«
Der König von Pandema saß an einem Schreibtisch. Der Schein seiner Öllampe vermischte sich mit dem Mondlicht, das durch die runden Butzenscheiben der Fenster drang. In nervöser Handschrift fasste er einen Brief ab. Einen kurzen Brief, von dem er hoffte, dass er eindeutig war. Er unterzeichnete so, wie er einen Dolchstoß geführt hätte, und rollte den Brief zu einem schmalen Röhrchen zusammen. Sein persönlicher Geckenstolz, der drei vergoldete Federn im langen, roten Schwanz trug, richtete selbstgefällig den Schopf auf. Bereit!
Königin Celiane hatte ihrem Mann betrübt und schweigend zugesehen. Kein Wort tröstete den König, keine Geste beruhigte ihn. Sie wusste, dass sein Zorn seine Angst widerspiegelte. Sie spürten die Gefahr alle beide. Dasselbe Schwindelgefühl und Unbehagen, das sie vor sechs Jahren erfasst hatte, als Andin in den Schwarzen Landen beinahe am Tollfieber gestorben war. Aber während die Königin betete und trotz allem die Hoffnung nicht aufgab, weigerte sich ihr Gemahl, daran zu glauben, dass sein Sohn in einer misslichen Lage sein könnte. Er zürnte lieber bei dem Gedanken, dass Andin wie üblich nur tat, was ihm gefiel. Er wollte der nervösen Anspannung nicht nachgeben, die ihn überkommen hatte.
Seit ihrer Reise in die Gänseländer hatten sein Sohn und er kein Gespräch geführt, das nicht mit erhobenen Stimmen beendet worden war. Setzte er zu wenig Vertrauen in Andin– oder in sich selbst? Von seinen drei Kindern war der jüngste Sohn derjenige, den er am wenigsten kannte, der seine Gedanken aber dennoch am meisten beschäftigte. Cedric und Philip brauchten ihn nicht, sie waren weniger gefährdet– und gehorsamer. Ganz natürlich richtete sich seine väterliche Aufmerksamkeit also auf diesen empfindlichen, wankelmütigen und unverständlichen Sohn, der nicht bei ihm hatte leben wollen. Zu behütet in seiner Kindheit, aber zu frei in seiner Jugend…
Einige Sekunden später machte sich der königliche Geckenstolz auf die Suche nach seinem jüngsten Herrn, während der Vater sich wieder hinsetzte, niedergeschlagener, als er es gern gewesen wäre. Enkils Memoiren spukten dem König nicht mehr im Kopf herum; die Furcht, die ihn erfüllte, ließ ihn unablässig die Sätze wiederholen, die in seinem Brief standen, als könne er so den Vogel schneller in größere Ferne tragen. Doch kein Wort der Botschaft lautete: Komm schnell zurück, mein Sohn, ich spüre Gefahr. Melde dich bei mir. Beruhige mich. Seine Angst hinderte ihn daran, dies alles zum Ausdruck zu bringen. Er machte sich Vorwürfe dafür, Andin nicht gegen seinen Willen beschützt zu haben, ihn nicht bis zuletzt versteckt zu haben, ja, sogar dafür, ihn nicht eingesperrt zu haben.
Er hob den Kopf zu seiner Königin. Fast rechnete er damit, in ihren Augen zu lesen, dass er sich seinem Sohn gegenüber nie richtig verhalten würde, aber er empfing nur einen ermutigenden Blick blinden Vertrauens.
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