Die Rebellin von Leiland 3: Die Gefangene des Tyrannen (German Edition)
es gar nicht erwünscht, dass ich gleich alles verstand – so, als würde nur das Handeln die Erinnerung wieder wecken und Antworten bringen.
Auf diese Weise lullten die Stimmen der Feen mich mit Worten ein, die sich auf einen Kampf bezogen, den sich die Ewigen Geister alle vierhundert Jahre liefern. Sie übernehmen abwechselnd die Macht und gewinnen Einfluss auf die Welt des Ostens. Gibt es einen Schiedsmann? Einen obersten Richter, der diese Frist eingeführt hat? Ist sie immer gleich lang? Ich weiß es nicht. Vielleicht liegt das alles in der Natur der Hochgeister: Diese Art von Regelung findet man auch in den anderen Welten.
Die Feen hatten den vorherigen Kampf verloren. Wenn sie diesmal wieder verloren, würden Pandema und die umliegenden Länder in Blut ertrinken. Ich durchschaute nicht sofort, wie ich ihnen nützlich sein konnte, denn ich verstand mich nur darauf, das Messer zu führen. Ich hatte nicht die Seele eines Kriegsherrn und auch nicht das Charisma eines Menschen, der andere für seine Sache gewinnt. Ich wollte nur leben – und hatte den Mut, mich allem und jedem zu stellen, um das zu erreichen. Ja, und gerade genug Uneigennützigkeit, um nicht alle anderen von meinem Glück auszuschließen. Das genügte. Die Gegensätzlichen Gottheiten können sich nicht direkt bekämpfen, sie benötigen menschliche Vertreter: zwei Gegner.
Als ich aus meiner Betäubung erwachte, war der Kadaver des Feuervogels verschwunden. Ein Füllhorn hing an meinem Hals, und mit den Fingern umklammerte ich mein Messer, als sei es ein Schwert. Der Name meines Feindes ließ mich erschauern: Joranikar. Der Tyrann von Pandema, der binnen eines Jahrzehnts die brutalsten Kriegsherren niedergemacht hatte, die ihm den Weg zum Thron verstellten. Aber das Feuer, das meinem Körper innewohnte, stärkte meinen Mut – oder eher meine Torheit, die Rolle des Streiters der Feen anzunehmen! Und es verlieh mir das nötige Selbstbewusstsein: Ich fühlte mich plötzlich in der Lage, jeden Hieb und jeglichen Angriff abzuwehren, obwohl die Kampfeskunst mir noch vor einer Stunde unvertraut gewesen war. Ich war bereit zu sterben – um einer bloßen Vision des Glücks willen.«
Der Reisende unterbrach seine Lektüre. Dieses Buch enthielt so viele Erklärungen für das Vorgehen Frederiks von Pandema, dass die gegenwärtigen Vorgänge in einem ganz neuen Licht erschienen. Der König des Landes, das für die Bewahrung des Friedens vergöttert wurde, hielt trotz allem seit jeher am Waffengebrauch fest. Ohne je einen Krieg vom Zaun zu brechen, hatte der König stets eine bestens geschulte Armee unterhalten. Von Kindheit an hatten seine Söhne gelernt, ein Schwert zu führen. Frederik von Pandema hatte gewiss nach dem Kämpen der Feen gesucht.
Der Reisende wandte den Blick nach draußen. Die Turniere der ersten Frühlingstage kehrten ihm ins Gedächtnis zurück– und auch die Aufmerksamkeit, die König Frederik seinem jüngsten Sohn geschenkt hatte. In dem Jahr, als Prinz Andin das letzte Mal an den Spielen teilgenommen hatte, hatte er beinahe alle Wettbewerbe gewonnen, obwohl er viel jünger als die meisten Gegner gewesen war. Frederik von Pandema hatte gemurmelt: »Durch seine Adern strömt nicht nur die Wärme des Feuervogels, sondern seine Glut selbst!«
König Frederik hatte damals schon gewusst, wer der Streiter der Feen war.
Der Reisende hatte die Bemerkung damals nicht verstanden, genauso wenig, wie er hatte nachvollziehen können, dass der Herrscher sein Königreich verlassen hatte, um seinen Jüngsten persönlich in die Gänseländer zu begleiten. Er hatte kaum fassen können, dass Enkils Schwert dem Dritten Prinzen zum Geschenk gemacht worden war, als das Kind aus einer Laune heraus beschlossen hatte, auf Wanderschaft zu gehen, um dann zwei Jahre später seinen Tod vorzutäuschen. Trotz seines Kummers als Vater hatte König Frederik alles hingenommen: Auf diese Weise hatte er heimlich den Zweikampf der Gottheiten vorbereitet.
Der Reisende lächelte einen Augenblick lang, als er an den ungebärdigen Jungen zurückdachte, der ihm immer Bewunderung abgenötigt hatte. Dann glitt ein Schatten über sein Gesicht wie eine Wolke vor den Mond. Er hatte Angst um diesen aufbegehrenden Prinzen. Die Feen schienen ihn längst vergessen zu haben. Geschah das absichtlich, oder gelang es ihnen nicht, ihn zu beschützen? Täuschte König Frederik sich etwa? Warum musste der Kämpe unbedingt aus Pandema stammen?
Noch vor einer Woche war dem jungen
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