Die Rebellin von Leiland 3: Die Gefangene des Tyrannen (German Edition)
Reisenden zwar das Herz schwer gewesen, aber er hatte geglaubt, das Leben läge noch vor ihm. Seit fünf Tagen, also seit er dieses Buch las, ließ die Handlungsweise des Königs von Pandema ihn daran zweifeln, dass auch nur seine einfachsten Träume sich erfüllen würden.
Er schlug das Buch zu; heute Abend konnte er nicht weiterlesen. Und er betete zu den Feen, mit der Bitte, Prinz Andin zu behüten.
Erste Geständnisse
Andin lief sofort los.
Eleas Gefangennahme auf der Burg hatte Joran rasend vor Zorn gemacht, und Andin war zur Zielscheibe seiner Rache geworden. Der junge Mann hatte nur eine Chance, der Wut des Ungeheuers zu entkommen: Er musste die Brücke-ohne-Wiederkehr überqueren. Aber um dorthin zu gelangen, musste er noch ein ganzes Stück durch den Wald. Da er unsterblich war, würde sich Joran rasch von dem Schwerthieb erholen, den Ceban ihm in dem Versuch, ihn aufzuhalten, versetzt hatte. Die Schreie, mit denen sein Freund ihn zur Flucht antrieb, gaben Andin die Kraft, seine Verletzungen und die Strecke, die er schon gelaufen war, zu vergessen. Er rannte so schnell den Wiesenstreifen des Verbotenen Waldes hinauf, wie er nur irgend konnte.
Dennoch ließ ein Brüllen ihn herumfahren, als er gerade oben angekommen war. Cebans weiße Unterhose, die kaum zu erkennen war, lag am Boden, und eine weibliche Gestalt– wie ein Fleck in derselben Farbe– schien sich über ihn zu beugen und zu klagen. Andin hob den Blick. Er erkannte den schwarzen Schatten, der auf ihn zustürmte, und rannte weiter in den Wald hinein.
All diese Raserei, die Schreie, das Gebrüll! Was war das nur für eine Nacht?
Selene, die mitten aus ihren eigenen Albträumen gerissen worden war, hatte noch immer Tränen in den Augen. Auf der Türschwelle ihres Hauses stand sie in Erwans Armen; all der Lärm hatte sie herausgelockt. Der Akaler hatte gerade erst verstanden, was es mit dem Aufruhr auf sich hatte, der in der Dunkelheit ausgebrochen war. Sein Herz zog sich zusammen, aber zugleich fällte er im Stillen eine unumstößliche Entscheidung: »Nimm die Kinder, Selene, es ist an der Zeit aufzubrechen. Ich werde niemals zulassen, dass jemand Andin etwas antut!«
Er packte sein Schwert, küsste seine Frau und lief zur Brücke-ohne-Wiederkehr. Selene, noch in ihrer eigenen Furcht gefangen, hatte nicht die Zeit, ihn aufzuhalten: Ihr Geist konnte sich ebenso wenig wie ihre Augen an die Farbe dieser Nacht gewöhnen. Erst, als Chloe ihrem Vater nachrannte, erwachte Selene aus ihrer Erstarrung.
»Nein, Chloe! Komm zurück!«
Aber wie jedes Mal, wenn eine Vision sie leitete, hörte die Kleine nicht auf ihre Mutter, sondern setzte ihren Lauf fort.
Selene wollte sie einfangen, drehte sich dann aber um: Erby, Melanie und Antonin, ihre neuen Kinder, standen ganz verloren vor der Tür. Die Scylin kannte dieses Gefühl nur zu gut. Sie kehrte um, nahm den kleinsten Jungen auf den Arm und zog die anderen beiden an der Hand mit. Dann überquerte sie den Fluss und ging in dieselbe Richtung wie ihr Mann.
Fliehen, schon wieder fliehen. Sie hatte den Eindruck, von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden.
Als sie Ophelia an Cebans Seite sah, trat sie wie die anderen Bewohner des Verbotenen Waldes an sie heran. Ceban war nicht tot, aber halb ohnmächtig; seine gesamte rechte Seite war blutüberströmt. Er versuchte nicht einmal aufzustehen, sondern ließ seinen Tränen freien Lauf.
»Vic, Vic ist tot«, wimmerte er. »Elea ist tot!«
Sein gesamtes Leben fiel in sich zusammen, alles, woran er geglaubt und worauf er gehofft hatte: Seine Milchschwester, die Dritte Prinzessin von Leiland, war tot. Seine Verzweiflung brach wie eine eisige Welle über die Herzen derjenigen herein, die um ihn herumstanden.
»Dann hat Joran keinen Grund mehr, uns hier zu behalten– er ist verrückt geworden«, reagierte Estelle plötzlich. »Wir müssen alle fliehen.«
Fliehen, fliehen. Aber wie?
Andin erschien nichts schwieriger als ebendiese Flucht. In der Finsternis des Waldes sah er nicht, wie Joran sich ihm näherte. Erst im letzten Augenblick bemerkte er seine glänzenden Reißzähne. Er kämpfte gegen einen Schatten in vielerlei Gestalt und jeder Schritt, der ihn von der Brücke-ohne-Wiederkehr trennte, kam ihm wie eine Meile vor. Er hatte nur Äste, um sich zu verteidigen, aber sie zerbrachen recht häufig unter der Wucht seiner eigenen Schläge, ohne das Ungeheuer auch nur zu betäuben.
Ein Kampf gegen den Unsichtbaren– ein Kampf gegen den
Weitere Kostenlose Bücher