Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen
protestierte, konnte regelrechte Wutanfälle provozieren: »Wie die rumläuft; so was hätte es früher nicht gegeben« – hat es natürlich doch, aber die Spießer waren schon immer zu feige.
Erst recht entlädt sich diese Variante von
Neid
beim öffentlichen oder gar politischen Protest. Vor nicht allzu langer Zeit hielt der kriecherische Mainstream jegliche Proteste und erst recht Demonstrationen schon als solche für anstößig: »Man widerspricht nicht« – Kinder nicht den Erwachsenen, Erwachsene nicht der Obrigkeit. Wenn man (das hier tatsächlich
Mann
bedeutet) überhaupt seinem Herzen Luft machte und auf die Obrigkeit schimpfte, dann höchstens in den »eigenen vier Wänden« oder am Stammtisch. Die Faust wurde bestenfalls in der Hosentasche geballt. Und die Frauen spielten ihre Hausfrau-und-Mutter-Rolle großenteils mit. Wie in der Satireserie
Ein Herz und eine Seele
mit Ekel Alfred brillant beschrieben, war der Mann für »die Politik« zuständig, das Heimchen für den Herd. Dies hat sich spätestens seit der Studentenbewegung geändert. Heute demonstrieren sogar Polizisten, Zahnärzte und Radfahrer beiderlei Geschlechts auf offener Straße und unvermummt.
Dabei ist Widerstand beileibe nicht gleich Widerstand: Die Gruppe Stauffenberg trennten – bei all deren politisch problematischen Positionen wie der Ablehnung der parlamentarischen Demokratie [14] – Lichtjahre von faschistischen Ausländermördern. Und auch der Aufruf des Rechtspopulisten und Historikers Arnulf Baring zum Steuerboykott »Bürger auf die Barrikaden« [15] hat nichts gemein mit Boykottaufrufen vieler Umweltorganisationen wie Greenpeace 1995 gegen den Energiemulti Shell, der die Erdölplattform
Brent Spar
im Atlantik versenken wollte. Kritiker befürchteten schwere Umweltschäden, da die Plattform massiv mit gefährlichen Giftstoffen belastet war. Wegen des großen öffentlichen Drucks und eines Umsatzrückgangs von über 25 Prozent allein in Deutschland ließ Shell sein Vorhaben fallen und entsorgte
Brent Spar
an Land. [16]
Dass selbst Normalbürger keine egoistischen »Geiz-ist-geil«-Idioten sind, musste auch die Drogeriekette Schlecker erfahren. Laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) brachen die Erlöse in den ersten vier Monaten 2010 um 16 Prozent ein. Nach der Debatte um Dumping-Löhne hatten mehr als eine Million Kunden dem Unternehmen den Rücken gekehrt. GfK-Experte Wolfgang Twardawa äußerte sich in der
Wirtschaftswoche:
»Die in diesen Fragen zunehmend kritischen Verbraucher bestrafen solche ethischen Fehltritte inzwischen nicht mehr nur durch zeitweilige Kaufzurückhaltung, sondern durch dauerhaften Vertrauensentzug.« [17]
Mal nebenbei gefragt: Was hindert die Verbraucher eigentlich daran, sich einen Supermarkt, einen Discounter nach dem anderen vorzunehmen. Dass viele Schlecker-Boykotteure auf eine andere Drogeriekette umsteigen, hilft ja dem bestreikten Konzern nicht im Geringsten. Und hat die Verbrauchermacht den einen Wirtschaftsriesen weichgeklopft, kommt der nächste dran … Übrigens können »Widerständler« durchaus auf den erst 1968 eingefügten Artikel 20 des Grundgesetzes verweisen:
( 3 ) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
( 4 ) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Nun haben viele Mitbürger zum Widerstand ein gestörtes Verhältnis. So unterstellte Franz Josef Strauß dem späteren Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt Landesverrat, [18] weil er von Norwegen und Schweden aus den Widerstand gegen Hitler organisierte: »Eines wird man Herrn Brandt doch fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.« [19]
Aber wie sang schon der Liedermacher Franz Josef Degenhardt:
Grundgesetz, ja Grundgesetz, ja Grundgesetz:
Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz.
Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich Kommunist?
Befragung eines Kriegsdienstverweigerers ( 1972 )
Dennoch scheinen sich die Deutschen zu einem »Volk der Widerborste« und einer »Dagegen-Republik«
(Spiegel)
zu entwickeln. Eine Protestwelle rollt durch Deutschland. Allerorten kämpfen Bürger gegen die Projekte von Politikern, bemerkt der
Spiegel.
Und das Interessante: Anders als frühere Protestbewegungen, wo
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