Die rebellischen Roboter: Science-fiction-Roman
Babysitter würden eine Fortentwicklung – sozusagen Nachkommen – des Lincoln sein.
Wir nannten unsere Babysitter-Simulacra ›Nannies‹.
Maury hatte inzwischen die Zeitungen von Seattle abonniert, in der Hoffnung, etwas über Pris zu erfahren. Dort war sie, das stand fest, weil ein Möbelwagen gekommen und ihre Sachen abgeholt hatte.
»Du könntest immer noch die Polizei einschalten«, sagte ich.
»Ich habe Vertrauen zu Pris«, sagte er düster. »Ich weiß, daß sie aus eigenen Stücken den richtigen Weg finden und zu mir und ihrer Mutter zurückkehren wird. Und außerdem ist sie ein Mündel des Staates – ich bin juristisch nicht mehr ihr Vormund.« Ich selbst hoffte nach wie vor, daß sie nicht zurückkommen würde; in ihrer Abwesenheit war ich viel entspannter und kam mit der Welt besser zurecht. Auch Maury schien trotz seiner Düsterkeit mehr Befriedigung in seiner Arbeit zu finden. Er hatte zu Hause keine nagenden Sorgen mehr, und die hohen Rechnungen von Dr. Horstowski blieben auch aus.
»Glaubst du, Barrows hat einen besseren Arzt für sie gefunden?« fragte Maury mich eines Abends. »Ich möchte wissen, was ihn das kostet. Drei Tage in der Woche zu vierzig Dollar pro Besuch sind hundertzwanzig in der Woche; fast fünfhundert Dollar im Monat. Nur, um ihre verkorkste Psyche zu reparieren!« Er schüttelte den Kopf.
Ich wurde an den Werbespruch des Bundesgesundheitsamtes erinnert, den man vor einem Jahr in allen Postämtern ausgehängt hatte:
»Bahnen Sie den Weg zur geistigen Gesundheit – gehen Sie als erster in Ihrer Familie in eine Klinik!«
»Barrows tut mir leid«, sagte Maury. »Ich hoffe um seinetwillen daß sie sich hinsetzt und ihm ein Simulacrum konstruiert, aber ich bezweifle es. Ohne mich pfuscht sie nur herum. Das Wandmosaik im Badezimmer war das einzige, was sie je fertiggestellt hat. Man muß aber zugeben, daß sie etwas kann.«
»Richtig«, sagte ich.
»Und wer baut uns jetzt das Äußere der Nannies, nachdem sie nicht mehr da ist? Du nicht; du hast keinen Funken künstlerisches Empfinden. Ich auch nicht. Und dein Bruder schon gar nicht.«
»Hör mal, Maury«, sagte ich plötzlich. »Wie wäre es mit Bürgerkriegs-Babysittern?«
Er starrte mich unsicher an.
»Die Konstruktion haben wir schon«, fuhr ich fort. »Wir machen zwei Modelle, eines in Yankee-Blau, das andere in Rebellen-Grau. Was meinst du?«
Nach einer langen Pause meinte Maury: »Ja, das Soldatische deutet auf Pflichterfüllung: Und den Kindern würde das Spaß machen. Das Kalte, Unpersönliche der Roboter fiele fort.« Er nickte. »Eine gute Idee, Louis. Wir legen den Vorschlag dem Aufsichtsrat vor. Okay?« Er eilte zur Tür. »Ich rufe Jerome und Chester an und laufe zu Lincoln und Stanton hinunter.« Die beiden Simulacra wohnten im Erdgeschoß von Maurys Haus. »Sie werden doch nichts dagegen haben, oder? Vor allem Stanton. Er ist so starrköpfig. Na ja, wir werden sehen.« Obwohl es meine eigene Idee war, fühlte ich mich plötzlich müde und enttäuscht. Wir waren wieder nur eine kleine Firma, die Geld verdienen wollte; wir hatten keine große Vision, nur einen Plan, um reich zu werden. Wir waren nichts anderes als Barrows, nur in viel kleinerem Maßstab.
»Nein«, sagte ich zu Maury. »Es ist schrecklich. Vergiß es.«
Er blieb an der Tür stehen und schrie: »Warum denn? Ich finde es großartig.«
»Weil es…« Ich konnte es nicht ausdrücken. Ich fühlte mich ausgelaugt und verzweifelt – mehr noch, einsam. Wer fehlte mir?
Barrows und Blunk und Colleen Nild und Bob Bundy und Pris. Was machten sie jetzt alle? Ich wollte es wissen.
»Sag es«, rief Maury und tanzte vor Enttäuschung herum. »Warum?«
»Es ist – kitschig«, sagte ich.
»Kitschig! Wieso denn?« Er funkelte mich an.
»Vergiß es«, sagte ich noch einmal. »Was, glaubst du, macht Barrows jetzt? Glaubst du, man wird die Familie Edwards bauen? Oder stiehlt man uns die Idee mit der Hundertjahrfeier? Oder versucht man etwas ganz Neues? Maury, wir haben keine Vision, das ist es. Keine Vision.«
»Doch, die haben wir.«
»Nein«, sagte ich. » Weil wir nicht verrückt sind. Wir sind nüchtern und normal. Wir sind nicht wie deine Tochter, nicht wie Barrows. Stimmt das etwa nicht? Du meinst, du spürst es nicht?«
»Mag ja alles sein, Louis«, sagte Maury, »aber wir können uns nicht einfach hinlegen und sterben, nur weil Pris zur anderen Seite übergegangen ist. Glaubst du, ich würde mich nicht auch jede Nacht quälen? Wir müssen aber weitermachen und
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