Die Rebenprinzessin
schweißdurchtränkte Kleid glatt, dann klopfte sie. Sogleich brach das Gespräch ab.
»Komm herein!«
Bella zog die Tür auf, deren Angeln ein leises Knarzen von sich gaben, und trat ein.
Tatsächlich war Heinrich Oldenlohe gekommen. Er saß auf einem Schemel vor dem Schreibpult der Äbtissin. Seit Bella ihn zum letzten Mal gesehen hatte, waren acht Jahre vergangen, und mittlerweile waren in seiner dunklen Haarpracht und in seinem Bart ein paar silbergraue Strähnen erschienen.
Bella entging nicht, dass er sie ein wenig überrascht ansah. Bei ihrem letzten Zusammentreffen war sie noch ein kleines Mädchen gewesen, doch nun war sie erwachsen und selbst in einfachen Kleidern imstande, jungen Burschen den Kopf zu verdrehen. »Ihr habt mich rufen lassen, Mutter Oberin?«, fragte sie, und nachdem sie Heinrich Oldenlohe einen verstohlenen Blick zugeworfen hatte, verschränkte sie die schweißnassen Hände sittsam vor ihrem Rock.
»Ja, mein Kind«, antwortete die Äbtissin Magdalena, die dem Kloster seit nunmehr fünfzehn Jahren vorstand. »Schließ die Tür und komm näher.«
Bella tat wie geheißen und trat vor das Schreibpult, hinter dem die Mutter Oberin Platz genommen hatte. Umrahmt von dem Nonnenschleier, wirkte ihr Gesicht freundlich wie immer. Die kleinen Fältchen um Augen und Mund wirkten wie ein feines Netz, das ihr Lächeln festhielt.
Bella suchte darin vergeblich nach irgendwelchen Vorzeichen. Auch Heinrich Oldenlohe blickte sie mit der versteinerten Miene eines Mannes an, der es gewohnt war, Dinge für sich zu behalten.
»Der Kurier hat mir soeben einen Brief von deinem Vater überbracht«, begann die Äbtissin und entrollte ein Pergament mit dem Siegel ihres Vaters. Bevor die Mutter Oberin offenbarte, was darin stand, blickte sie Bella allerdings noch einmal prüfend an.
Die junge Frau zerriss es förmlich vor Ungeduld, daher biss sie sich rasch auf die Lippen und senkte dann demütig den Kopf.
»Du bist jetzt seit acht Jahren in unserem Kloster«, sagte die Äbtissin endlich, als hätte sie nur auf diese Geste gewartet. »Nun ist die Zeit gekommen, Abschied zu nehmen.«
Bella blickte überrascht auf und öffnete den Mund, brachte jedoch kein einziges Wort heraus.
»Ja, du wirst uns verlassen, auf Wunsch deines Vaters«, fügte Magdalena hinzu. »Schon morgen wird die Kutsche eintreffen. Herr Oldenlohe wird heute im Gästehaus bleiben und dich morgen nach Hause begleiten.«
Die Mutter Oberin nickte dem Boten zu, der die Geste mit einem leichten Lächeln erwiderte.
»Du kannst die Arbeit im Weinberg unterbrechen und Vorkehrungen für deine Abreise treffen. Vorher wirst du aber dem Abgesandten deines Vaters die Unterkunft bereiten, wie es sich gehört.«
Bella nickte, noch immer vollkommen sprachlos. All die Jahre hatte sie diesen Augenblick herbeigesehnt! Sie hatte nicht erwartet, dass ihr Vater persönlich kommen würde, aber mit einer Kutsche hatte sie schon gerechnet. Sie brauchte einen Augenblick, um zu realisieren, dass dies kein Traum oder Scherz war.
»Möchtest du etwas sagen, Bella?«, fragte die Mutter Oberin, nachdem sie das Mädchen lange angesehen hatte.
Die Grafentochter schüttelte den Kopf. Was sollte sie schon sagen? Sie freute sich, dass sie wieder nach Hause konnte, auch wenn sie nicht wusste, wie es um das Gemüt ihres Vaters stand. »Nein, Mutter Oberin.«
»Gut, dann führe unseren Gast zum Gästehaus und kümmere dich um ihn. Sunna und Adelheid sollen heute ein Mahl mehr bereiten. Und wenn du Anna siehst, sag ihr, sie möge unverzüglich bei mir erscheinen, ich brauche sie hier.«
Bella nickte und wandte sich dann an den Boten. »Wenn Ihr mir bitte folgen würdet?«
Heinrich Oldenlohe erhob sich, griff nach dem Schwert, das er neben dem Tisch abgestellt hatte, und gürtete es um seine Hüfte.
»Habt Dank für Eure Gastfreundschaft, Äbtissin«, sagte er an Magdalena gewandt, dann schloss er sich Bella an.
Ein schmaler Kiesweg führte an den Kräutergärten vorbei zum Nebengelass, das sich abseits der Unterkünfte für die Nonnen befand. Es handelte sich um einen klobigen Backsteinbau, den sie früher als Krankenlager genutzt hatten.
Bella dachte zurück an die Zeit, als es in dieser Gegend zahlreiche Fälle von Antoniusfeuer gegeben hatte. Damals war sie gerade ins Kloster gekommen und entsetzt gewesen über die Verheerungen, die diese Krankheit anrichtete. Doch nun war es schon seit Jahren ruhig geblieben, und alle Spuren der Krankheit waren aus dem Quartier
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