Die Rebenprinzessin
Jungen durften. Wenn sie auf Bäume kletterte, sagte man ihr, dass es sich nicht gehöre. Aus der Kelterei ihres Vaters schickte man sie fort, ebenfalls mit der Begründung, dass dies kein geeigneter Ort für Mädchen sei. Wenn sie dann einen finsteren Blick aufsetzte, lachten die Erwachsenen über sie. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass niemand sie hier ernst nahm. Nur dem Kater schien es gleichgültig zu sein, ob sie ein Junge oder ein Mädchen war.
Vielleicht schenkt Gott mir ja eine Schwester, dachte sie. Eine, mit der ich im Weinberg Verstecken spielen und die ich mit Schleifen und Bändern schmücken kann.
Ein markerschütternder, beinahe verzweifelt klingender Schrei übertönte plötzlich sogar das Gewittergetöse. Bella zuckte zusammen. Der Kater auf ihrem Arm stieß ein Maunzen aus, doch wie schon bei den Donnerschlägen beruhigte er sich sofort wieder. Bella griff ein wenig fester in sein Fell und fragte: »Was meinst du, ob es jetzt da ist?«
Der Kater antwortete darauf mit einem Schnurren und schloss langsam die Augen. Es war ihm offenbar egal.
Noch zweimal ertönte das Geschrei, dazwischen gingen erneut Blitze nieder, die für einen kurzen Moment schauerliche Schatten auf den Wandteppich zeichneten, der neben Bellas Bett hing. Die Szene zeigte einen Affen und einen Bären und war eigentlich ganz putzig, aber nun hatte sie das Gefühl, als hätten die Augen des Bären zu leuchten begonnen wie die Augen eines Dämons.
Die Angst überkam sie mit einem Mal noch heftiger, so dass sogar ihre Zähne zu klappern begannen. Das Mädchen hoffte inständig, dass sein Vater bald kommen möge. Wenn nicht er, dann wenigstens Katrina. Sobald das Kind aus dem Leib ihrer Mutter heraus war, brauchte man sie doch nicht mehr!
Die Augenblicke bangen Wartens zogen sich zäh dahin, und Bellas Ungeduld wurde immer größer. Schließlich wollte sie schon aufspringen und ihre Kammer verlassen, um nachzusehen, warum denn niemand kam.
Da hörte sie plötzlich schwere Schritte, die sich ihrer Tür näherten. War das ihr Vater? Kam er, um ihr von dem Geschwisterchen zu berichten?
Eigentlich hätte Bella längst schlafen sollen, aber ihr Vater verstand sicher, dass sie es nicht konnte. Außerdem hatte er versprochen, ihr Bescheid zu geben, wenn es so weit war. Also machte sie sich erst gar nicht die Mühe, ihre eiskalten Füße unter die Decke zu schieben und so zu tun, als ob sie schlummerte.
Die Schritte machten schließlich vor der Tür halt. Bellas Körper spannte sich, und ihr Herz begann vor Aufregung zu pochen. Die Klinke wurde heruntergedrückt und der Türflügel schließlich aufgeschoben.
Mit großen Augen starrte Bella in die Dunkelheit, und als diese von einem neuerlichen Blitz durchbrochen wurde, erkannte sie die Gestalt ihres Vaters. Er hatte sein Wams ausgezogen und die Hemdsärmel hochgekrempelt, ein Zipfel hing ihm aus dem Hosenbund, und seine Strümpfe saßen unordentlich. Einen Moment lang stand er in der Tür, als könnte er sich nicht zum Hereinkommen entschließen, dann tat er einen Schritt und stieß die Tür hinter sich wieder ins Schloss.
Ein fremdartiger Geruch strömte Bella entgegen. Es war nicht so wie sonst, wenn ihr Vater Wein getrunken hatte oder aus der Kelterei kam. Diesmal roch er unangenehm, beinahe so wie rostiges Eisen. Ein neuerlicher Blitz offenbarte ihr, dass auf dem Hemd und den Beinkleidern ihres Vaters dunkle Flecken waren.
»Bella«, sagte er, und wollte offenbar etwas hinzufügen, doch seine Stimme brach. Er trat direkt vor seine Tochter, und in dem kargen Licht, das von draußen hereinfiel, sah sie, dass seine Augen glänzten. Nie zuvor hatte Bella ihren Vater weinen sehen, er war so groß und stark wie eine Eiche, nichts schien ihn umwerfen zu können. Jetzt allerdings waren es eindeutig Tränen, die sie erblickte.
Bellas Magen zog sich zusammen, und sie drückte den Kater unwillkürlich so fest, dass es ihm weh tat. Das Tier jaulte auf, fauchte und versetzte ihr mit seinen scharfen Krallen einen Hieb auf den rechten Unterarm. Der Schmerz zuckte ihren Arm bis zum Hals hinauf und erreichte schließlich ihre Schläfe, wo er zu einem unangenehmen Kribbeln wurde. Augenblicklich ließ sie den Kater los, worauf er in der Dunkelheit des Raumes verschwand. Doch in diesem Augenblick konnte Bella nicht auf Peterle schimpfen.
»Ja, Vater?«, entgegnete sie mit zitternder Stimme.
Der Graf betrachtete seine Tochter einen Moment lang, dann fiel er vor ihr auf die Knie und murmelte
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