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Die Rebenprinzessin

Die Rebenprinzessin

Titel: Die Rebenprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Neuendorf
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etwas, das sich anhörte wie: »Mein Gott, warum nur?«
    Ihre Gesichter waren nun auf gleicher Höhe. Bella sah, dass sein Kinn zuckte, während er ihr sanft und mit den Tränen ringend über das Gesicht strich.
    »Was ist denn, Vater?«, fragte Bella und spürte, wie die Kälte von ihren Füßen nach oben kroch. Der Kratzer an ihrem Arm pochte, und aus der Ecke maunzte Peterle klagend.
    »Bella, deine Mutter …«, presste ihr Vater hervor, und es schien, als würde sich der Rest des Satzes in seinem Hals verkeilen, so dass die Worte nicht rauskommen konnten.
    Der Donner grollte erneut, und aus der Ferne erklang ein Krachen. Beides nahmen Vater und Tochter nicht wahr. Sie sahen sich an, dann zog der Vater Bella plötzlich an sich und begann zu schluchzen wie nie zuvor.
    Bella wusste nun, dass es kein Geschwisterchen für sie geben würde. Und dass sie auch ihre Mutter nie mehr wiedersehen würde. Die alte Hexe hatte ihr nicht helfen können. Oder hatte sie die Gebärende gar mit einem bösen Zauber belegt?
    »Komm mit«, sagte ihr Vater irgendwann und schob sie sanft von sich.
    Bella zog ihr Wolltuch fester um die Schultern und schlüpfte in ihre Pantinen. Diesmal hob sie der Graf nicht auf den Arm, sondern fasste sie lediglich bei der Hand und führte sie nach unten.
    Ein schwacher gelber Lichtfleck fiel aus der Kammertür ihrer Mutter auf den Gang, da zwei Mägde den Raum verließen. Als sie den Grafen und seine Tochter sahen, bekreuzigten sie sich und gingen mit gesenktem Kopf an ihnen vorbei. Von Katrina und der Hebamme war weit und breit nichts zu sehen. Wahrscheinlich hatten sie sich schon vor den Mägden zurückgezogen.
    Bella spürte die schwere Hand ihres Vaters auf ihrer Schulter.
    »Du musst jetzt tapfer sein«, raunte er ihr zu und zog sie mit sich in das Gemach.
    Der Geruch, den sie an den Kleidern ihres Vaters wahrgenommen hatte, war hier noch stärker. Ihre Mutter lag auf dem Bett und sah aus, als würde sie schlafen. Ihre Hände waren über einem hölzernen Kruzifix gefaltet, und ihre Wangen waren so bleich wie das Laken darunter. Die Augen waren geschlossen und wirkten leicht eingefallen. Am auffälligsten war jedoch, dass ihr Bauch flach war. Das Kind war anscheinend herausgekommen, aber nicht so, wie es sollte. Die Wiege, in dem es eigentlich hätte liegen sollen, war leer.
    »Es war ein Junge, ein kleiner Bruder«, hörte sie den Vater mit tränenerstickter Stimme sagen. »Aber er hat nicht geatmet. Und deine Mutter …« Er verstummte und legte eine Hand über das Gesicht. Wieder begann er herzzerreißend zu weinen.
    Wie betäubt starrte Bella auf das Totenbett ihrer Mutter, dann ließ sie den Blick über den Boden schweifen. Jemand hatte die blutigen Tücher und die Wasserschüsseln weggeschafft, trotzdem entdeckte das Mädchen Blutspuren auf den Steinen und spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Sogleich richtete sie den Blick wieder auf das Gesicht ihrer Mutter. Das Gesicht, das sie nie wieder anlächeln würde. Die Lippen, die ihr nie wieder einen Kuss geben würden.
    Ihr Vater war noch immer nicht imstande, etwas zu sagen. Bella, die sich nach wie vor an seiner Hand festhielt, spürte, dass er zitterte. Ihn so traurig zu sehen, brach ihr fast das Herz. Tränen stiegen ihr in die Augen und kullerten ihr heiß über die Wangen. Schluchzend standen sie schließlich nebeneinander, so lange, bis Pater Anselm in Begleitung von Katrina erschien und der Graf seine Tochter mit der Kinderfrau fortschickte.
    In dieser Nacht, als sie frierend und zitternd in ihrem Bett lag und selbst die Anwesenheit des Katers sie nicht beruhigen konnte, fasste Bella einen Entschluss. Niemals würde sie heiraten, denn sie wollte nicht wie ihre Mutter beim Gebären eines Kindes sterben. Sie wollte nicht, dass Menschen zurückblieben und um sie weinten. Lieber bleibe ich allein und verschreibe mich dem Weinberg. Für immer und ewig.

1. K APITEL
     
    September 1437  
     
    Mit einer geübten Handbewegung durchschnitt Bella den Rebenstiel mit dem scharfen, sichelförmigen Winzermesser, dann drehte sie die von Tautropfen überzogene grüne Rebe in der Hand.
    In diesem Jahr hatten die Heunisch-Trauben genügend Sonne bekommen, das erkannte sie sofort, und sie dachte an die vergangenen Monate zurück, in denen sie die Reben gehegt hatten. Die Weinbeeren waren teilweise so dicht gewachsen, dass sie einige hatten entfernen müssen, damit die anderen zu voller Größe heranwachsen konnten. Nun, im beginnenden Herbst, waren sie

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