Die Rebenprinzessin
Diesen Grund für ihre Rückkehr hatte sie noch gar nicht in Erwägung gezogen.
»Welchen Grund sollte es sonst geben, dich so rasch nach Hause zu holen?« Anna zwinkerte ihr zu.
»Das weiß ich nicht, unser Bote wollte es mir nicht sagen.« Bella versuchte, sich die aufkeimende Beunruhigung in ihrem Herzen nicht anmerken zu lassen, und Annas Neugierde erschien ihr auf einmal unerträglich. Sie wollte nicht länger über dieses Thema sprechen, zu viele schlechte Gefühle kamen dadurch in ihr hoch. Also sagte sie nur rasch: »Jetzt geh schon zur Mutter Oberin. Du willst doch nicht, dass sie dich wegen Säumigkeit schilt, oder? Ich muss in die Küche.«
Damit wandte sie sich dem Küchenhaus zu, wo die Konversinnen Sunna und Adelheid gerade das Mittagsmahl vorbereiteten. Da die beiden Töchter von Bauern waren, wurden sie nicht als richtige Nonnen aufgenommen, doch man schloss sie auch nicht aus. Meist waren sie es, die der Äbtissin mit Bauernschläue und Witz weiterhalfen, wenn die Gelehrsamkeit versagte.
Als Bella eintrat, unterbrachen sie ihre Arbeit.
»Na, Mädchen, was gibt es?«, fragte Sunna, die Stämmigere von beiden. Sie war etwa doppelt so alt wie Bella, hatte ein rundes, leicht gerötetes Gesicht und warme braune Rehaugen.
Bella hatte sich schon öfter bei ihrem Anblick gefragt, warum sie das Klosterleben gewählt hatte, obwohl sie bestimmt einen Mann bekommen hätte.
»Ich soll euch von der Mutter Oberin ausrichten, dass wir heute einen Gast haben«, sagte sie. »Ihr mögt das bei euren Vorbereitungen bedenken.«
»Du meinst, den Mann, der dir vorhin über den Hof gefolgt ist?«, fragte Sunna und blickte zu Adelheid hinüber, die plötzlich ganz rote Wangen bekam. Offenbar hatten die beiden gerade über Heinrich Oldenlohe gesprochen – vielleicht mehr, als die Mutter Oberin erlaubt hätte.
»Ja, er wird aber nur eine Nacht bleiben. Morgen früh wird er mich nach Hause begleiten.«
»Du reist ab?«, fragte Adelheid, und ihre Wangen verblassten ein wenig.
Bella nickte.
»Siehst irgendwie nicht glücklich darüber aus«, bemerkte Sunna, doch die junge Frau wollte ihr nicht erklären, warum sie so dreinschaute.
»Ich bin nur ein wenig überrascht, das ist alles«, entgegnete sie und verließ damit das Küchenhaus.
Die Gefühle, die in ihr tobten, brachten Bella dazu, den Ratschlag der Äbtissin zu übergehen.
Ihre wenige Habe würde sie auch noch am Abend zusammenpacken können. Jetzt wollte sie nicht im Kloster sein, wo sie die Stille zum Nachdenken verleitete. Sie wollte an einen Ort, der ihr freundlich gesonnen war und der ihre Unruhe vielleicht ein wenig milderte. Jenen Ort, der schon immer ihre Zuflucht gewesen war.
2. K APITEL
Der Reiter in dem grünen Mantel trieb sein Pferd energisch durch das Waldstück. Staub, vermischt mit abgestorbenen Blättern und kleinen Steinen, wirbelte im hohen Bogen hinter den Pferdehufen auf. Schaumiger Schweiß bedeckte die Flanken des Rotschimmels, hin und wieder spritzten weiße Flocken vom Maul des Tieres.
Die Eile hatte ihren Grund. In dieser Gegend gab es etliches Gesindel, das versuchte, sich die Taschen mit dem Gold von Reisenden zu füllen.
Viel zu holen war bei Martin nicht, denn er war nur ein armer Studiosus. Seine Kleidung war schlicht und bestand aus einem braunen Wams, einem einfachen Leinenhemd, braunen Beinkleidern, schiefgetretenen Stiefeln und dem Wollmantel, der von den Nächten im Stroh und unter Bäumen etliche Mitbringsel in sich barg. Bis auf das Schwert, das er an der Seite trug, hatte er nichts Kostbares bei sich. Dennoch war er sehr vorsichtig. Wenn sie ihn für einen Boten hielten, könnte von dem Lumpengesindel jemand auf die Idee kommen, dass die Nachricht, die er womöglich bei sich trug, von Wert sei.
Obwohl Martin recht gut mit seiner Waffe umgehen konnte, wollte er nicht in einen Kampf geraten und gegen mehrere Raufbolde antreten. Seit jeher war er der Meinung, dass man Streitigkeiten besser mit dem Verstand ausfechten sollte. Die anderen Studenten hatten ihn aus diesem Grund für feige gehalten, doch recht schnell hatte er ihnen klargemacht, dass dies nicht gleichbedeutend mit Schwäche war. Mit Räubern war allerdings schlecht reden, das wusste er nur zu gut. Statt Worte setzten sie Armbrustbolzen, Pfeile und Dolche ein, und nicht selten endeten derlei »Unterredungen« mit einer durchgeschnittenen Kehle aufseiten des unfreiwilligen Gesprächspartners.
In den vergangenen zwei Wochen war es ihm gelungen, Streit
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