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Die reinen Herzens sind

Die reinen Herzens sind

Titel: Die reinen Herzens sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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leise.
    Mit der Nase an der Glasscheibe schnitt Cindy ihrer kleinen Schwester lustige Grimassen und wünschte Schwester Marie auf den Mond. Die hagere Frau mit den knochigen Fingern hatte etwas Einschüchterndes. Marie Bellson war wie ein kahler Baum im Winter. Sie schaffte es, daß man sich schuldig fühlte, selbst wenn man nichts getan hatte.
    Cindys Blick schweifte zur Wanduhr. Die Besuchszeit war fast vorüber. Sie wußte, daß das Ende nahte. Wie auf Kommando trat Marie Bellson aus dem Säuglingszimmer. Sie verbreitete Strenge und Disziplin. Sie war nur wenig geschminkt, und abgesehen von einem goldenen Kreuz über der Brusttasche ihrer Schwesterntracht und Steckohrringen trug sie keinen Schmuck. Schön waren nur ihre Augen. Hellgrün mit braunen Einsprenkelungen. Und sie wären noch attraktiver gewesen, hätten sie nicht so böse dreingeschaut. Cindy setzte ihr gewinnendstes Lächeln auf.
    »Noch eine Minute?«
    Bellson schüttelte den Kopf. »Sie investieren zu viele Gefühle in das Baby. Sie sind die Schwester, nicht die Mutter.« Die Kinderschwester deutete auf ihre Armbanduhr. »Die Besuchszeit ist zu Ende. Gute Nacht.«
    Cindy seufzte, sah den Korridor hinab und grinste. »Da kommt mein Vater mit der Familie meiner Stiefmutter.«
    Bellson stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte erneut den Kopf. Cindy lief den Gang entlang und umarmte ihren Vater stürmisch.
    »Rina in Ordnung?«
    Decker hakte sich bei seiner Tochter ein. »Die Operation ist überstanden. Sammy hat Blut für sie gespendet.«
    »Aber es ist alles in Ordnung?«
    »Noch nicht ganz. Trotzdem geht’s mir schon viel besser.«
    »Du siehst fertig aus, Dad. Du mußt schlafen.«
    Decker machte eine wegwerfende Handbewegung. Er rührte sich nicht von der Stelle, solange er nicht bei Rina gewesen war. »Führst du uns zu unserem Baby?«
    »Selbstverständlich. Vorausgesetzt, die Bellson wirft uns nicht raus. Hat mir gerade die rote Karte gezeigt.« Cindy runzelte die Stirn. »Da kommt sie schon, die alte Hexe!«
    Eine magere Frau in Weiß eilte auf sie zu. Sie hatte ein feines Netz von Fältchen um Augen und Nase und tiefe Furchen in der Stirn. Die Falten deuteten normalerweise auf zu häufiges Sonnenbaden hin, doch die Haut der Schwester war von einer geradezu aristokratischen Blässe. Ihr Haar hatte eine undefinierbare graubraune Färbung. Die grünen, braungesprenkelten Augen allerdings waren ein Pluspunkt. Sie blickten klar und intelligent. Marie Bellson war nicht hübsch, aber auf ihre Art durchaus attraktiv. Decker schätzte sie auf ungefähr Vierzig. Sie hielt Decker die Hand hin. Er ergriff sie.
    »Wie geht es Ihrer Frau, Mr. Decker?« erkundigte sich Marie Bellson.
    »Sie ist noch im Aufwachraum.«
    Die Krankenschwester nickte. »Wir haben die beste postoperative Abteilung im Bezirk. Also keine Sorge. Sie dürfen sich schnell noch das Baby ansehen. Dann muß ich Sie vor die Tür setzen. Nicht meine Idee, aber um zehn Uhr ist Stillzeit. Dann werden die Babys zu ihren Müttern gebracht. Wenn es soweit ist, sollten keine fremden Leute mehr in den Gängen unterwegs sein. Der Himmel weiß, was für Bakterien dann hier rumschwirren.«
    »Wir beeilen uns«, sagte Magda.
    »Kommen Sie!« Marie Bellson marschierte zackig voraus. »Sind Sie die Großmutter? Sie sehen so jung aus.« Vor dem Glasfenster blieb sie stehen. »Die Kleine liegt ganz hinten. Ich hole sie weiter nach vorn.«
    Marie Bellson verschwand in der Tür zum Säuglingszimmer. Die Frau war wie ausgewechselt. Cindy kam sich dumm vor. Warum war die Bellson so unfreundlich zu ihr und so nett zu den anderen? Sie zuckte unwillkürlich die Schultern. Hauptsache, Dad war glücklich. Sein Lächeln wirkte echt. Zum ersten Mal an diesem Abend. Sie ging zu ihm und lehnte den Kopf an seine Schulter. Gemeinsam beobachteten sie, wie Marie Bellson in steriler chirurgischer Kleidung und mit Mundschutz die Bettchen umherschob, bis die kleinste Decker ganz vom lag. Dann nahm die Schwester sie hoch und zeigte sie ihnen von vorn. Cindy merkte, daß ihr Vater sich die Tränen verkniff. Er zeigte sonst nie Gefühle. Das war einer der Gründe, weshalb ihr dieser Abend so surreal vorkam. Nie zuvor hatte er sich so etwas wie Angst anmerken lassen.
    »Sie sieht aus wie du, Daddy«, sagte sie.
    »Nein, nein«, widersprach Magda und klopfte leise an die Scheibe. »Sie sieht wie Ginny aus. Aber sie hat Akivas Farben … das rote Haar und die helle Haut.«
    »Armes Kind«, murmelte Decker. »Wieder ein

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