Die reinen Herzens sind
dich um!«
Sie spuckte ihm ins Gesicht. Er spuckte zurück. Dann lachten sie beide.
»Das reicht!« sagte Mack, sah sie an und drückte seine riesigen Pranken über ihren Oberarmen zu. Er glaubte, ihr angst zu machen. Aber nichts, keine physische Gewalt, konnte ihr soviel Angst machen wie das Bewußtsein, wenn es außer Kontrolle geriet. Sie schluckte die Angst hinunter und hielt seinem Blick stand.
»Gut«, flüsterte Mack. »Das war richtig gut, Tandy.«
Sie fühlte, wie er langsam den Druck auf ihren Armen verringerte. Dann ließ er seine Hände über ihre Brüste gleiten. Tandy schloß die Augen. Es fühlte sich gut an. In einer anderen Welt hätte sie sich weiter gewagt. Aber sie war noch nicht soweit. Mack wußte das ebenfalls. Auch er war nicht drauf aus. Es war nur die Berührung. Vollkommene Körper, wie ihrer und Macks, waren dazu da, berührt zu werden – von denen, die sie ehrlich zu schätzen wußten.
»Bereit für den Schwitzkasten, Mädel?« fragte er.
»Jederzeit.«
7
Jemand rüttelte ihn an der Schulter. Decker sprang benommen auf. Er schwankte. Ein Arm stützte ihn. Er rieb sich die Augen, versuchte seine Umgebung wahrzunehmen. Ein rundes, hellhäutiges Gesicht vor ihm nahm allmählich Konturen an. Dazu gehörte eine Gestalt in Hose, Sporthemd und weißem Arztmantel … Dr. Hendricks. Die OP-Kleidung hatte er abgelegt. Decker nahm das als ein sehr gutes Zeichen.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?« fragte Dr. Hendricks.
»Ich bin eingeschlafen. Nicht zu fassen.«
»Passiert den Besten.« Der Arzt fuhr sich über den Stoppelbart. »Rina macht gute Fortschritte. Habe sie gerade in die Intensivstation bringen lassen. Aber bestimmt nicht für lange. Reine Vorsichtsmaßnahme. Sie dürfen jetzt zu ihr. Allerdings steht sie noch unter starken Medikamenten. Also erwarten Sie nicht zuviel.«
Decker lächelte.
»Orientierungsprobleme hat sie keine. Ihr Lebenswille ist gut. Alles deutet darauf hin, daß sie bald völlig wiederhergestellt ist.«
»Dem Himmel sei Dank!«
Hendricks legte Decker eine Hand auf die Schulter. »Ein, zwei Stunden bin ich noch in der Klinik. Wir müssen uns unterhalten. Aber ich weiß, daß Sie zuerst Rina sehen wollen. Und … erschrecken Sie nicht. Sie sieht mitgenommen aus.«
»Doktor, wenn Sie wüßten, was ich in meinem Leben schon gesehen habe.«
»Bei der eigenen Frau ist alles anders.«
Vom Kopf her war er vorbereitet. Gefühlsmäßig war er’s nicht. Ihre Haut war talgig grau, die Lippen so blutleer, daß sie sich kaum von diesem Hintergrund abhoben. Das Haar hatte man ihr aus dem Gesicht gebunden. Die Strähnen, die zu sehen waren, waren feucht von Schweiß. Ihr linker Arm war auf ein Tablett am Bettgitter gebunden, die Unterseite blau unterlaufen und milchweiß. An ihrem Gelenk lag eine Infusion, die von einer weißen Bandage gehalten wurde. Der Rest ihres Körpers war von einem weißen Tuch bedeckt. Sie schien tief zu schlafen. Ihre Lider zuckten nicht einmal. Er hatte Leichen gesehen, die einen besseren Anblick geboten hatten. Der Gedanke ließ ihn erschaudern.
Er hatte Angst, sie zu berühren, Angst, sie könne dabei zu Staub zerfallen wie ein antikes Dokument. Vorsichtig streckte er die Hand nach ihrer Wange aus, hielt sie einen Moment an ihre Lippen und fühlte ihren Atem auf seiner Haut. Seine Finger zuckten zu ihrem Mund, dann zog er hastig die Hand zurück. Er biß sich auf die Unterlippe, schob einen Stuhl an ihr Bett und begann zu zittern. Er mußte Rinas Eltern anrufen, aber er brauchte noch etwas Zeit. Zeit, um sicher zu sein, daß mit ihr wirklich alles in Ordnung war.
Er verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete seine Frau im Schlaf. Dann zwang er sich zur Ruhe, nahm ihre Hand. Sie rührte sich nicht. Er wußte nicht, wie lange er so gesessen hatte. Erst der Arzt weckte ihn zum zweitenmal. Sein Blick fiel auf die Wanduhr. Es war nach Mitternacht. Langsam entzog er Rina seine Hand. Sie hatte ihre Lage nicht verändert.
Decker stand auf. Dr. Hendricks legte den Arm um ihn. »Gehen wir in mein Büro!« sagte er leise.
»Können wir sie allein lassen?«
»Ja, keine Sorge. Alles bestens.«
Sie verließen die Intensivstation. Im grellen Licht der Neonbeleuchtung wirkte der Korridor gespenstisch leer und verlassen. Decker blieb plötzlich stehen.
»Meine Tochter!«
»Dem Baby geht’s großartig. Der Kinderarzt kommt morgen. Falls Sie mit ihm sprechen wollen.«
»Nein, meine andere Tochter«, sagte Decker. »Sie ist neunzehn.
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