Die reinen Herzens sind
jetzt mit dem Arzt. Dann komme ich zurück«, versprach Decker.
»Gratuliere zu Ihrer Familie.«
»Danke.«
Darlene lachte. »Ein wahrer Irrgarten ist das hier, was? Ich bringe Sie zum Lift.« Sie deutete mit dem Finger. »Hier entlang.«
Decker folgte ihr wie ein gehorsamer Roboter und mit einem undefinierbaren schlechten Gefühl in der Magengegend. Erst als sie vor dem Lift standen, wurde ihm klar, daß Darlene Jamison die einzige Schwester war, die er auf Station J gesehen hatte. Sie hatte die Babys allein gelassen. Um ihn zum Aufzug zu bringen.
Hendricks Büro im Krankenhaus war rein funktionell eingerichtet. Auf engstem Raum standen ein Schreibtisch, ein Bürostuhl und zwei Besucherstühle, die wohl allesamt schon bessere Tage gesehen hatten. In den Metallregalen an den Wänden standen medizinische Nachschlagewerke, andere Bücher und eine Kaffeemaschine. Decker hatte unwillkürlich die wesentlich luxuriöser ausgestattete Privatpraxis des Arztes vor Augen. Seltsamerweise wirkte Dr. Hendricks in dieser Umgebung selbstverständlicher, ja sogar entspannter. Vielleicht war auch nur die Müdigkeit daran schuld.
»Setzen Sie sich.« Hendricks zog eine Patientenkarte aus der Ablage. »Haben Sie Ihre Tochter gefunden?«
»Sie war beim Baby im Säuglingszimmer. Offensichtlich ist sie der Kleinen sehr zugetan.«
»Ist ihre erste Schwester, oder?«
»Sie hat Stiefbrüder … aber das ist was anderes.«
»Hat sie eine enge Beziehung zu ihren Stiefbrüdern?«
Die Frage fiel irgendwie aus dem Rahmen. Sie war zu persönlich. Versuchte Hendricks eine Beziehung herzustellen? Hatte der Arzt etwas auf dem Herzen und wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen?
»Sie mag ihre Stiefbrüder. Aber die Beziehung ist nicht eng. Sie haben nicht viel gemeinsam.«
Hendricks rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Haben Sie eine enge Beziehung zu Ihren Stiefsöhnen?«
Decker schwieg. Die Frage erschien ihm noch abwegiger als die erste. Befürchtete er, daß Decker seine Kinder unterschiedlich behandelte? In diesem Fall konnte er ihn beruhigen.
»Eine sehr enge Beziehung«, antwortete er. »Sie sind wie leibliche Söhne für mich. Ich liebe sie sehr.«
»Sind Sie auch gesetzlich der Vormund?«
Decker war wie vor den Kopf gestoßen.
»Nein … noch nicht.« Er bekam Herzklopfen. »Warum? Ist was mit Rina? Besteht Gefahr …«
»Nein, nein. Nichts dergleichen. Ich wollte Sie nicht ängstigen.«
Decker lehnte sich zurück und atmete auf. »Wenn die Jungs es möchten, adoptiere ich sie. Jederzeit. Ich hielt es nur nicht für klug, gleich die Identität eines Vaters in Anspruch zu nehmen. So was braucht Zeit. Wenn die beiden soweit sind, steht einer Adoption nichts im Weg.«
»Sehr feinfühlig von Ihnen.«
Decker sagte nichts. Er versuchte zu erraten, worauf Hendricks hinauswollte. Der Arzt warf einen Blick auf die Patientenakte. Decker wünschte, er würde endlich zur Sache kommen.
»Ihre große Tochter hat Ihre kleine Tochter also ins Herz geschlossen, was?«
»Finden Sie das nicht gut?«
»Nur, wenn sie deswegen ihre normalen Aktivitäten vernachlässigt. Warum fragen Sie? Hat sie denn Probleme?«
Decker rieb sich die Schläfen. »Sie scheint eine Auseinandersetzung mit der Stationsschwester provoziert zu haben. Ist ihr wohl ins Gehege gekommen … sagt man.«
Hendricks verdrehte die Augen. »Schwester Marie ist eine verdammt gute Schwester … aber sehr machtbewußt.«
»Dann sind die Probleme nicht neu?«
Hendricks schüttelte den Kopf. »Soll ich mit Marie sprechen?«
»Nein, nein. Das regle ich mit meiner Tochter selbst.«
»Geht sie nicht bald aufs College zurück?«
Decker nickte.
»Dann löst sich das von selbst«, sagte Hendricks.
»Ja, da haben Sie vermutlich recht.«
Hendricks gähnte. »Entschuldigung. War eine lange, arbeitsreiche Nacht. Nicht nur wegen Rina. Das Kinderkriegen scheint in der Luft zu liegen. Aber ich wollte noch mit Ihnen reden, bevor ich hier Schluß mache. Ich muß Ihnen sagen, was eigentlich passiert ist. Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig.«
Decker wartete.
»Rina hatte eine sogenannte Plazenta accreta«, seufzte Hendricks. »Kurz gesagt, die Plazenta hat sich nach der Geburt des Kindes nicht von selbst gelöst. Das kann verschiedene Ursachen haben. Am häufigsten kommt es vor, daß die Plazenta an der Gebärmutterwand haften bleibt. Ist das der Fall, müssen wir sämtliche Gewebeteile entfernen. Manchmal geht das durch eine einfache
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