Die Reise ins Licht
wand sich in Todeskrämpfen. Gleb erhob sich schwankend in der schmierigen Pfütze dampfendes Blutes und ging mit irrsinnigem Blick auf den Stalker los. Von der Messerspitze fielen purpurrote Tropfen, die auf dem Asphalt eine krumme Spur hinterließen. Als er den Stalker erreichte, wollte er sich auf ihn stürzen, doch der verdrehte mit einer unmerklichen Bewegung Glebs Arm. Das Messer fiel zu Boden. Während er den bockenden Jungen noch immer im Polizeigriff hielt, hob er das Messer auf, strich seelenruhig die Klinge an seinem Ärmel ab und steckte das Messer in das Futteral an Glebs Anzug zurück.
Die Wölfin beschnupperte den Kadaver, drehte sich um und flüchtete, gefolgt von ihrer Brut. Nach einer Minute waren die Weggefährten allein. Taran machte sich auf den Weg zum Metroeingang. Der Junge keuchte noch immer heftig und fixierte den Stalker mit zornigem Blick. Allmählich machte seine Wut jedoch einer dumpfen Gleichmut und unendlicher Erschöpfung Platz.
»Vielleicht krepiert er ja doch nicht«, vernahm Gleb die leise Stimme Tarans. Als hätte ihn das zur Besinnung gebracht, hob er hastig die unweit liegende Pistole auf und lief seinem Meister hinterher.
Seine Begegnung mit der äußeren Welt hatte stattgefunden.
3
ZOO AUF RÄDERN
Die Station Park Pobedy empfing die Weggefährten mit gespanntem Schweigen. Gleich hinter dem hermetischen Tor konnte man die kärgliche Ausstattung des Bahnsteigs erkennen, der in ein Halbdunkel getaucht war. Am Ende der Station waren armselige Hütten aneinandergepfercht, zusammengezimmert aus dem, was gerade da war. Die nicht sehr zahlreichen Bewohner drängten sich um ein paar spärliche Feuerstellen. Dies war eine Station geschlossenen Typs, doch auf der rechten Seite fehlten so gut wie alle Türen. Vor jedem Durchgang lagen wie in einem Trödelladen einfache Waren aus: gedörrtes Rattenfleisch, grob genähte Kleidung, Seilrollen, Messer …
Aus dem Tunnel von der Elektrossila Ref. 9 waren bedächtige Schritte zu hören. Der Station näherten sich Leute. Die Bewohner ließen alles liegen, stürzten zu ihren Verkaufsständen und begannen die Reisenden zu sich zu rufen.
Taran führte Gleb zum Zentrum der Station, wo sich ein Abstieg zu den Technikräumen befand. Neben den Stufen stand ein finster dreinschauender Wachposten mit glattläufigem Gewehr. Als er den Stalker erblickte, lehnte er sich über die Brüstung und pfiff laut hinab. Aus dem
Inneren des Bahnsteigs sprang ein Junge hervor, kaum älter als Gleb.
»Führ ihn zu Batja«, flüsterte er und schielte zu Taran herüber.
Gleb wollte gerade dem Stalker folgen, als ihn der Wachmann mit einer Hand zurückhielt.
»Der hier wartet.«
Taran nickte seinem Schüler zu und verschwand nach unten. Gleb blieb an der Treppe stehen. Während er sich umschaute, verglich er diesen Ort unwillkürlich mit der Moskowskaja . Je länger er dies tat, desto mehr stach ihm der Unterschied zwischen den beiden Stationen ins Auge. Das Leben verlief hier auf primitivstem Niveau. Nicht einmal elektrische Lampen waren zu sehen. Von unten drangen der Lärm tobender Kinder und das Schimpfen von Frauen herauf. Es roch nach verbranntem Fleisch.
»Und woher kommst du?«
Der kleine Mann mit dem Gewehr war sichtlich gelangweilt und wollte sich unterhalten.
»Von der Moskowskaja .«
»Schöne Station habt ihr da.« Der Wachposten seufzte tief. »Auch die Weiber sollen ganz ordentlich sein, sagt man. Ich denke darüber nach, auch dorthin überzusiedeln. Batja hat ja mal wieder die Rationen gekürzt. Der ist völlig übergeschnappt …«
»Und wo wohnt ihr alle? Da unten?«
»Natürlich da unten! Das ist doch eine Durchgangsstation. Da kannst du keinen Wachschutz einrichten, die Türen sind alle offen. Wie sollte es auch anders gehen? Oben ist ein Park. Da streifen alle möglichen Tiere herum. Also sind
Expeditionen nach oben für uns nicht drin. Wir halten uns eben mit Handel über Wasser.«
Ein Knirps von etwa fünf Jahren näherte sich Gleb. Ehrfürchtig betrachtete er die Ausrüstung. Er starrte auf den Pistolenschaft in der Revolvertasche.
»Onkel Stalker, gib mir eine Patrone!«
Gleb begriff nicht gleich, dass der kleine Junge mit ihm sprach. Noch vor wenigen Tagen hatte er, fast so wie der Dreikäsehoch hier, Taran angeglotzt. Jetzt schien ihm, dass diese Erinnerung schon weit zurücklag. Wie aus einem anderen Leben. Gleb öffnete seine Patronentasche, holte eine Patrone heraus und gab sie dem kleinen Jungen. Er überlegte kurz,
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