Die Reise nach Uruk
kann sie doch nicht umbringen, nur um Eventualitäten vorzubeugen! Das wäre -«
»Genug! Du hast gesehen, wozu ich fähig bin. Geh jetzt, oder .«
»Oder du bringst auch mich um?«
»Wenn du mir keine Wahl läßt.«
»Du hast jede Wahl - obwohl ...« Karims Blick irrte zu dem Mann, der eben noch - obwohl vom Tagwerk erschöpft - in der Blüte seines Lebens gestanden hatte. Jetzt glotzte ein runzliger Greis zu ihm herüber, dessen rasselnder Atem in genau diesem Augenblick aussetzte. Das Zittern seines Körpers hörte übergangslos auf. Er kippte vornüber und blieb in dieser Haltung liegen.
Scheinbar ungerührt wandte sich Elisabeth an die anderen: »Schafft ihn weg! Hebt eine Grube aus oder überlaßt ihn den Schakalen. Das bleibt euch überlassen. Nur eines solltet ihr nicht vergessen, in keiner Sekunde, die ihr hier seid: Versucht weder, mich zu hintergehen, noch zu flüchten, sonst endet ihr wie er . Grabt! Grabt die ganze Nacht und den morgigen Tag. Ich werde euch dabei beobachten und kein Auge zutun, bis das Tor freigelegt ist!«
Entsetzt schleiften die Männer den Toten von Elisabeth fort.
»Das Tor?« fragte Karim mit tonloser Stimme.
»Durch das ich euch verlassen werde. Euch alle«, nickte Elisabeth, ehe sie ihn zurück ins Zelt zog und fragte: »Was ist? Nimmst du Vernunft an und gehst?« Sie nickte in Richtung der Männer, die nicht mehr zu sehen waren, und sagte: »Sie erhalten diese Chance nicht.«
Kopfschüttelnd antwortete Karim: »Das bist du nicht. Du bist nicht die Bestie, die ich eben sah. Du -«
»Du täuschst dich. Du weißt nichts über mich. Gar nichts. Wenn, würdest du hier nicht mehr stehen und zögern.«
»Das bist du nicht ...« Der zierliche Quajare schüttelte immer noch den Kopf.
Elisabeth begriff, daß sie sich in ihm getäuscht hatte. Seine momentane Furcht war immer noch nicht stärker als das, was ihn bewegt hatte, ihr bis hierher zu folgen.
»Gut, es ist deine freie Entscheidung. Dann bleib. Dann sauge ich auch deine Zeit in mich auf! Eigentlich macht es keinen Unterschied. Dort, wohin ich gehe, bist du ohnehin schon lange tot .«
Karim schluckte. Er ballte die Fäuste, griff sie aber weder an noch machte er sich aus dem Staub. Sein verfluchter Starrsinn würde ihm zum Verhängnis werden.
*
Waren jetzt die letzten Dämme in ihr geborsten?
Ich weiß es nicht, dachte Elisabeth bekümmert. Ich weiß es wirklich nicht. Ich müßte mich wohl hassen für das, was ich getan habe - aber ich habe so viele sterben sehen in dieser gottverlassenen Zeit. Was macht es schon für einen Unterschied, ob der Krieg, Satan oder ich sie umbrachte?
Mit angezogenen Knien, eine Decke um sich geschlungen, hockte sie auf einer Sandverwehung und verfolgte von hier aus den Fortschritt der Aushubarbeiten. Es war Nacht. Lichter standen rund um die Grabungsstelle verteilt. Bei den Zelten war es still, aber Elisabeth bezweifelte, daß Karim schlief. Er würde so wenig ein Auge zutun wie sie selbst.
Was habe ich getan?
Immer wieder vertiefte sie sich in ihre Selbstzweifel, ohne jedoch in ihrer Wachsamkeit nachzulassen. Sie erwartete, daß versucht würde, gegen sie vorzugehen. Deshalb gab sie sich äußerlich keine Blöße. Starr war ihr Blick auf die Männer gerichtet, die sie bei Mos Iranshar in Al Basrah angeheuert hatte. Es waren nur noch vier. Elisabeth wußte nicht einmal, wohin sie den fünften, ihr Opfer, gebracht hatten. Sie hatte sie nicht danach gefragt.
Zwischendurch spielte sie mit dem Gedanken, die Grabung mittels ihrer Magie zu beschleunigen. Letztlich verzichtete sie nicht nur deshalb darauf, weil bereits die ersten, mit unleserlichen Runen verzierten Stufen freigelegt waren, sondern auch um ihre Kräfte für die bevorstehende Wanderung in die Zukunft zu schonen, über deren tatsächliche Schwere und Dauer auch sie noch nichts wußte.
Zu den Unwägbarkeiten, über deren Folgen sie nur spekulieren konnte, gehörte auch, daß der Zugang zum Korridor erst Wochen oder Monate, bevor Lilith Eden sie darin tötete, freigegraben worden war. Von Duncan Luther und zwei anderen Männern, allesamt Untote, die Liliths besonderen Keim in sich getragen hatten 5 ... Nun schaufelten bereits dreihundert Jahre früher Menschen das verborgene Tor zum Korridor der Zeit frei. Selbst wenn es Beth gelungen wäre, dieses Tor wieder hinter sich zu schließen - die Treppe selbst bis hinab zur steinernen Barriere würde sichtbar bleiben und das Interesse eines jeden auch nur zufällig Vorbeikommenden
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