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Die Reise

Die Reise

Titel: Die Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gregory
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Er nahm die Bordkarte entgegen und schob sie in seine Hemdtasche.
    »Finden Sie nicht auch, dass das ein komischer Zufall ist?«, fragte ich.
    »Nein, eigentlich nicht.«
    Ich stellte meine Handtasche auf den leeren Platz neben uns; es sah nicht so aus, als ob jemand sich dort niederlassen würde. Und die Tasche wäre auch eine Art »Abstandhalter«, für den Fall, dass das Gespräch eine Wendung nahm, die mir nicht gefiel. Aber das hatte es ja eigentlich schon getan, seit wir über Gott, ein erfülltes Leben und so weiter redeten. Komisch – bei diesem Mann fühlte ich mich zu dem Thema eher hingezogen als abgestoßen.
    Was hatte er eigentlich gemeint mit seinen letzten Sätzen, bevor wir das Café verließen? Ich war richtig neugierig. Aber ganz geheuer war es mir nicht, dass wir schon wieder nebeneinander saßen, wie zwei Fremde, die sich gefunden hatten. Und sich über den Sinn des Lebens unterhielten. Vielleicht war dies der richtige Augenblick, einen Gang zurückzuschalten und sich endlich gegenseitig vorzustellen.
    »Ich habe mich ja noch gar nicht richtig vorgestellt«, sagte ich. »Ich bin Mattie.« Ich hielt ihm meine rechte Hand hin.
    Er bugsierte seine Rechte um die Lehne seines Sessels herum und schüttelte die meine. »Hallo, Mattie. Nennen Sie mich Jay.«
    »Nett, Sie kennen zu lernen. Es war ja Zeit.«
    »Ganz meinerseits.« Er lächelte.
    »Warum fliegen Sie nach Tucson?«, fragte ich.
    »Geschäftlich.«
    »Und was für ein Geschäft?«
    »Mein Vater und ich leiten eine Management-Firma, sozusagen.«
    »Und was managen Sie so?«
    »Ach, so ziemlich alles.«
    Besonders genau drückt er sich nicht aus
. »Ich dachte, Sie sind Psychologe.«
    »Das bin ich auch.«
    »Machen Sie das als Zweitjob?«
    »Nein, innerhalb der Firma.«
    Ich konnte mir nicht vorstellen, was für eine Firma das sein sollte, aber ich ließ das Thema auf sich beruhen.
    Die Triebwerke heulten auf. Ich schaute durch das Fenster. Wir rasten über die Startbahn und hoben ab. Als wir über den Wolken waren, drehte ich mich zu Jay zurück. Ich erwartete, dass wir unser Gespräch von vorhin fortsetzen würden, aber er hatte seinen Klapptisch heruntergeklappt und war dabei, etwas auf einen Block zu schreiben. Nanu, wo hatte er den auf einmal her?
    Ich schaute ihm einen Augenblick zu, aber er blickte nicht auf. Ich beschloss, mein neues Buch zu lesen. Es fing abrupt an, wie alle Romane von Sparks.
    Die Stewardessen kamen mit den Getränken. Ich nahm wieder einen Apfelsaft, den Jay mir weiterreichte. Er wählte ein Wasser, und wir beide bekamen die obligatorischen Brezeln.
    Ich öffnete den Beutel mit meinen Brezeln –
die nächsten leeren Kalorien von etwas, das ich gar nicht mag
–, während er seinen auf den Mittelplatz legte.
    Er schrieb weiter. Ich wandte mich wieder meinem Buch zu, aber nach einer Minute legte ich es hin und beugte mich etwas zu Jay. »Was schreiben Sie da?«
    »Oh, einen meiner Lieblingstexte.«
    »Und was steht da drin?«
    »Ach, das ist so ein Gedicht.«
    »Gedicht?« Ich lachte halbherzig. »Dass Sie auch ein Dichter sind, hatten Sie mir noch nicht gesagt.«
    »Das hier hat jemand anderes geschrieben.«
    »Wollen Sie bei mir Eindruck machen?«, fragte ich, halb im Scherz.
    Er lächelte, aber antwortete nicht. Ehrlich gesagt, ich war bereits mehr als beeindruckt von ihm. So einen Mann hatte ich im Leben noch nicht kennen gelernt.
    »Dürfte ich mal was davon lesen?«, fragte ich.
    Er reichte mir den Block. »Es sind freie Verse, ohne Reim. Jedenfalls im Deutschen.«
    Ich begann zu lesen.
    Ich habe dich je und je geliebt.
Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,
aber meine Gnade soll nicht von dir weichen.
    Wie kann ich dich preisgeben?
Mein Herz ist andern Sinnes.
Ich werde mich über dich freuen und dir freundlich sein,
ich werde dir vergeben in meiner Liebe
und werde über dich mit Jauchzen fröhlich sein.
    »Das ist echt gut«, sagte ich. »Richtig gefühlsstark. Wer hat das geschrieben?«
    »Mein Vater.«
    »Ihr Vater? Ist das Ihr Ernst? Und was hat ihn dazu inspiriert, dieses Gedicht zu schreiben? Gibt es da eine Geschichte dahinter?«
    »Es ging um eine Beziehung, die zerbrochen war und die er unbedingt wiederherstellen wollte.«
    Ich reichte ihm seinen Block zurück. Er legte ihn auf den Mittelplatz und öffnete seine Brezeltüte.
    »Mit so einer Liebe möchte Gott Sie lieben«, sagte er. »Einer leidenschaftlichen Liebe.«
    »Leidenschaftlich?« Das war das letzte Wort, das ich mit Gott

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