Die Reise
Sie!«
Der Mann hatte sich zum Beifahrerfenster hinabgebeugt und sagte etwas zu dem Fahrer. Jetzt drehte er sich in meine Richtung. Fehlanzeige; es war ein Fremder.
»Oh«, sagte ich. »Entschuldigung, ich hab’ Sie mit jemandem verwechselt.«
»Kein Problem.« Er öffnete die Tür und stieg ein.
Ich ging zurück zu meinem Gepäck.
Warum war das gerade nicht er? Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!
Ich schaute nach rechts, durch die Glastüren zurück ins Terminalgebäude. Nichts. Sollte ich es vielleicht an der Gepäckausgabe versuchen?
Aber er hat ja noch nicht einmal Bordgepäck dabeigehabt. Und für was braucht er auch Gepäck?
Ich hörte ein Motorengeräusch hinter mir. Ich schaute nach hinten und sah den Hotelbus. Ich beschleunigte meinen Schritt, aber der Bus war vor mir an der Haltestelle.
»Warten Sie bitte!«, rief ich.
Der Fahrer kam um den Bus herum und ging zu meinem Gepäck. Ich bemerkte seine Frisur. Rastalocken.
»Möchten Sie die Tasche mit reinnehmen oder in den Kofferraum?« Sein Akzent klang jamaikanisch. Oder wie das, was ich mir unter jamaikanisch vorstellte.
»Ich nehm’ sie mit rein, danke.«
Ich schaute in den Bus hinein. Er war leer. Ich setzte mich direkt hinter den Fahrer. Der setzte sich ebenfalls und legte den Gang ein.
»Könnten Sie noch einen Augenblick hier bleiben?«, fragte ich. »Ich warte noch auf jemanden.«
»Null Problem«, erwiderte der Fahrer. Er schaute mich im Rückspiegel an. Ich sah zum Fenster hinaus. Sicher würde gleich Jays Gesicht auftauchen?
Wie konnte ich nur so blind sein? Warum hab’ ich das nicht eher gemerkt? Spätestens bei seinem Namen hätte es bei mir doch klingeln müssen
…
Der Fahrer begann, irgendeine Melodie zu summen. Eine Minute verging. Sein Rücken wurde gerader. »Können wir jetzt fahren, oder soll ich noch’n bisschen warten?«
Ich schaute mich ein letztes Mal um. Die Enttäuschung riss mir im Magen. »Sie können fahren.«
Der Bus fuhr los. Der Fahrer schaltete irgendeine Reggae-Musik ein. Ich grübelte.
Warum ist er einfach so weggegangen? Nick hat wenigstens noch gemerkt, wer er war, und konnte ihm ein paar Fragen stellen. Warum hat er bis ganz zum Schluss damit gewartet, mir zu zeigen, wer er war?
Und warum ist er überhaupt zu mir gekommen? Oder zu Nick? Wir sind doch nichts Besonderes. Oder kommt er dauernd zu irgendwelchen Leuten?
Diese Begegnung. Ich wusste nicht, ob ich staunen oder enttäuscht sein sollte.
Was jetzt? Was macht der Mensch, wenn er so was erlebt hat? Kann man überhaupt etwas noch Unerhörteres erleben?
Meine Gedanken rasten, gingen unser Gespräch durch, begutachteten Gedanken und Worte.
Wir kamen an dem Wellnesshotel meines Kunden an. Ich ging zur Rezeption, dann auf mein Zimmer. Es war ein richtiger Fußmarsch, die Anlage war riesig. Ich versuchte, mir einen ersten Eindruck von ihr zu verschaffen. Es gelang mir nicht, meine Gedanken gingen immer wieder zu der Begegnung im Flugzeug zurück.
Mein Zimmer war groß und elegant, ungefähr so, wie ich es erwartet hatte. Ich parkte meinen Koffer am Fußende des Bettes und ging ins Bad, um mich frisch zu machen. Dann ging ich zurück ins Zimmer und setzte mich auf das Bett. Ich schaute zum Nachttisch hin. Was lag da neben dem Telefon? Eine in Geschenkpapier eingewickelte Schachtel. Ich nahm sie in die Hand. Auf dem Deckel der Schachtel, unter das Band geschoben, war ein Umschlag, auf dem »Mattie« stand. Es war nicht Nicks Handschrift.
Ich öffnete zuerst die Schachtel und schaute hinein. Das Geschenk war in Seidenpapier gewickelt. Ich zog das Papier zur Seite und hielt einen wunderschönen blauen Babyanzug in der Hand. Auf der Brust war ein weißes Schaf.
Ich nahm den Umschlag und zog die Karte heraus. Ich öffnete sie und las den Text, der von Hand geschrieben war:
Meine Schafe hören meine Stimme,
und ich kenne sie, und sie folgen mir.
Und ich gebe ihnen das ewige Leben.
Über den Autor
David Gregory ist Coautor von zwei Sachbüchern und wird häufig als Vortrags- und Konferenzredner eingeladen. Nach einer Karriere als Geschäftsmann studierte er Religion und Kommunikationswissenschaften, beriet Firmen und war in der Erwachsenenbildung tätig. Er lebt als Autor in Texas und engagiert sich dort für eine gemeinnützige Organisation.
Weitere Kostenlose Bücher