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Die Reisen Des Paulus

Die Reisen Des Paulus

Titel: Die Reisen Des Paulus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernle Bradford
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Stelle erscheinen. Das war zwar scherzhaft gemeint, enthielt aber mehr als nur ein Quentchen Wahrheit. Es war in der Tat praktisch ausgeschlossen, die Anforderungen des Gesetzes in allen Einzelheiten zu erfüllen. Außerdem lebten die Juden, ob es ihnen nun zusagte oder nicht, selbst in Jerusalem in einer heidnischen Welt, und diese Welt schwelgte in allen fleischlichen Genüssen und Lüsten. Aus diesem Grunde zogen sich bestimmte jüdische Gruppen völlig von der Welt zurück. Sie glaubten, alles sei derart verpestet, daß man nur in einer hermetisch abgeschlossenen Gemeinschaft Gottes Gesetz gemäß leben könne, ja, sie verschmähten sogar den Kontakt zu anderen Juden. Eine solche Gruppe waren auch die Essener. Sie siedelten sich in Qumran an. Heute sind sie die bekannteste derartige Gemeinschaft, weil die Entdeckung der Schriftrollen vom Toten Meer uns ziemlich viel von ihren Regeln offenbarte. Wißbegierigen Studenten – zu denen zweifellos auch Paulus gehörte – dürfte die Existenz dieser Gruppen kaum entgangen sein, auch wenn ihre Lehre streng geheimgehalten wurde. Außer den Glaubenssätzen, die sich in den Schriftrollen finden, stammt das Wenige, was wir über sie wissen, von dem jüdischen Historiker Josephus, von Philon – einem Philosophen des 1. Jahrhunderts – und von Plinius dem Älteren. Ihr seltsamster und für das Judentum völlig ungewöhnlicher Zug war, daß sie zölibatär lebten. In verschiedenen östlichen Mysterienreligionen gab es zwar sexualfeindliche Tendenzen – einige Anhänger von Kybele und Attis gingen sogar so weit, sich 62
    selbst zu entmannen –, aber den Juden waren Heirat und das Zeugen und Gebären von Kindern vom Gesetz her vorgeschrieben. Ein unverheirateter Rabbi zum Beispiel war undenkbar. Der Stand der Ehelosigkeit, den die römisch-katholische Kirche Jahrhunderte später ihren Priestern auferlegte, wäre den Juden als krasser Widerspruch zu Gottes Gebot »Seid fruchtbar und mehret euch« erschienen. Das Judentum handelte klug, wenn es Heirat und Kinderer-ziehung mit Segen bedachte, denn so wurde sichergestellt, daß nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch die überragenden Köpfe erhalten blieben. Die Essener dagegen zogen den Zölibat vor. In den Gräbern von Qumran lagen zwar auch zwei Skelette von Frauen und Kindern, aber weitaus die meisten stammen doch von erwachsenen Männern. Josephus schrieb von den Essenern: »Sie haben der Lust entsagt, weil sie dieselbe mit dem Laster gleichsetzen, und üben sich in Mäßigkeit und Selbstbeherrschung. Sie verschmähen die Heirat, adoptieren aber anderer Menschen Kinder, solange diese noch jung und formbar sind, nehmen sie als die ihren an und bilden sie ihren Grundsätzen gemäß heran.«
    Dann fährt er fort: »Sie verdammen die Ehe nicht grundsätzlich … aber sie wollen sich vor der Lüsternheit der Frauen schützen.« Und Philon bestätigt: »Kein Essener heiratet, denn die Frau ist ein selbstsüchtiges und sehr eifersüchtiges Geschöpf … Wer durch Liebe oder natürliche Ursachen einer Frau fest verbunden ist, sorgt vor allem für seine Kinder und kann nicht so sein wie die anderen. Ohne es zu wissen, ist er ein anderer Mensch geworden; kein Freier mehr, sondern ein Sklave.« Philon merkt außerdem an, daß die Essener dem Reichtum abgeschworen haben, nur die einfach-63
    ste Kost essen und ihre Kleider und Schuhe so lange tragen, bis sie völlig zerschlissen sind – erst dann werden sie ausge-wechselt.
    Spurenelemente der essenischen Lehre kann man zwei-
    fellos im Urchristentum nachweisen. Jesu Gebot, seine An-hänger sollten ohne Frau, Brüder, Eltern oder Kinder sein, wäre einem guten Juden Anathema gewesen, denn für ihn waren Familie, Familienbande und familiäre Verpflichtun-gen äußerst wichtig im Rahmen des Gesetzes. Es überrascht, daß offenbar weder Jesus noch Paulus geheiratet haben. In den Augen eines strenggläubigen und gottesfürchtigen Juden stellte ihre Ehelosigkeit keineswegs eine Tugend dar, sie handelten vielmehr dem Willen Gottes zuwider.
    Warum zogen der Meister und sein zukünftiger begei-
    sterter Anhänger die Ehelosigkeit vor? Man kann nur zwei Gründe dafür vermuten. Zum einen – und dies ist nicht unwahrscheinlich – könnten sie irgendwann in ihrem Leben die Lehre der Essener kennengelernt haben oder sogar mit einer essenischen Gemeinschaft verbunden gewesen sein.
    Zum anderen glaubten sie wohl beide so fest ans nahe Weltende, daß es ihnen widersinnig schien, eine geregelte

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