Die Reisen Des Paulus
schließlich genug gereizt waren, vernichteten sie mit einem Handstreich Jerusalem, versklavten die Juden, zer-streuten sie übers ganze Imperium und nötigten ihnen eine Kapitulation ab, die bis ins 20. Jahrhundert hinein währte.
Etwa ein Jahr bevor Paulus nach Jerusalem ging, war
Kaiser Augustus gestorben. Auf ihn folgte Tiberius, der Sohn von Augustus’ Gattin Livia. Tiberius’ Vater hingegen war einer von Julius Cäsars Offizieren. Augustus hatte keine Söhne. Livia, für die er in hemmungsloser Leidenschaft entbrannt war, wurde ihm vom Vater des zukünftigen Kaisers abgetreten, als sie bereits mit dem jüngeren Bruder des Tiberius, mit Drusus, schwanger ging. Tiberius kam 42 v. Chr.
zur Welt und war 56 Jahre alt, als er den Kaiserthron bestieg. Sein voller Name lautete Tiberius Claudius Nero Cä-
sar. Einer der Gründe dafür, daß er in späteren Jahrhunderten so sehr geschmäht wurde, ist vielleicht darin zu suchen, daß zu seiner Regierungszeit weit hinten in Judäa ein obskurer Jude, der sich für den Messias ausgab, zusammen mit zwei noch obskureren Verbrechern gekreuzigt wurde.
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Kreuzigungen waren, wie später Hinrichtungen durch den Strang, routinemäßige Justizangelegenheiten.
Tiberius stellt sich uns als ungewöhnlicher Charakter, als hervorragender Soldat und fähiger Regent dar. Das Bild, das Tacitus von ihm zeichnet, ist allerdings entsetzlich, und man muß argwöhnen, daß der römische Historiker hier etwas voreingenommen und tendenziös war. Wenn man je-
doch das Reich danach beurteilt, wie es während seiner Regierungszeit (freilich bevor er sich nach Capri zurückzog) geführt wurde, kann man nicht behaupten, Tiberius sei un-fähig gewesen. Von 22 bis 6 v. Chr. und von 4 bis 10 n. Chr.
diente er fast ausschließlich als Soldat, erst in Spanien, dann in Armenien und dann in Gallien. Im Gegensatz zu Augustus, der seine Kriegszüge zu Wasser und zu Land von dem überragenden Agrippa, seiner rechten Hand, dirigie-ren ließ, war Tiberius dank seiner militärischen Erfahrungen an den Fronten des Reiches bestens mit dem Soldaten-handwerk vertraut. Zusammen mit seinem Bruder Drusus unterwarf er die Stämme zwischen Rhein- und Donauquel-le und gewährleistete damit die Sicherheit der Nachschub-und Verbindungswege zwischen Italien und Gallien. Danach besiegte er die Pannonier (die ein Gebiet zwischen der Donau und den Ostalpen besetzt hielten). Nach dem Tode seines Bruders Drusus (9 n. Chr.) wurde er in Rom als der bedeutendste Krieger, als würdiger Nachfolger des Julius Cäsar betrachtet.
Doch der zukünftige Kaiser hatte noch mehr aufzuwei-
sen als seine beachtlichen Fähigkeiten auf militärischem Gebiet. Allem Anschein nach konnte er innig lieben und tiefe Zuneigung empfinden. Er heiratete Vipsania Agrip-68
pina, die Tochter des Marcus Agrippa. Sie gebar ihm einen Sohn, Drusus. Die Verbindung war glücklich und von Tiberius’ Seite gewiß eine Liebesehe. Der große Kummer seines Lebens traf ihn, als ihn Augustus der Staatsräson wegen zwang, sich von seiner Gattin zu trennen und Augustus’
Tochter Julia zur Frau zu nehmen. Tiberius kannte Julias Charakter nur zu gut – sie war eine hemmungslose Ehebrecherin. Das Elend dieser Verbindung konnte auch nicht durch die Ehren wettgemacht werden, mit denen man Tiberius überhäufte: zwei Triumphe, der eine 7 v. Chr., der andere 9 n. Chr., Quästoren- und Prätorenamt, zweimaliges Konsulat und schließlich Volkstribun auf fünf Jahre. Trotz all dieser Beweise dafür, daß Kaiser und Volk ihn und seine Fähigkeiten hochschätzten, fühlte sich Tiberius durch seine Frau gedemütigt, die er, so Sueton, »weder anzuklagen noch zu verstoßen wagte«.
Die einzige Lösung sah Tiberius darin, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen und Augustus’ Enkeln Gaius und Lucius das Feld zu überlassen. So begründete er jedenfalls seinen Abschied von Rom, aber man muß vermuten, daß ihn größtenteils doch persönliche Gründe bewogen. Er ging nach Rhodos, »wohin ihn die Schönheit und gesunde Luft der Insel zogen, die er bei seiner Rückkehr aus Armenien vorübergehend besucht hatte. Hier ließ er sich an einer mäßigen Stadtwohnung und einem nicht viel größeren Landsitze genügen und führte ein überaus bürgerliches einfaches Leben, ging ohne Liktor oder Staatsboten zuweilen im Gymnasium spazieren und hielt geselligen Verkehr mit den so tief unter ihm stehenden Griechen fast auf gleichem Fuße.«
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Es kann kaum Zweifel daran
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