Neobooks - Transalp 11
[home]
BUCH 11
SONNTAG, 15. JULI 2012
Belluno, Piazza, 10.45 Uhr
I ch weiß nicht, ich weiß nicht, Anselm, das ist doch keine moderne Kunst, die der Spindler da gemalt hat … Aber was zum Henker bedeuten diese Linien?« Stephanie Gärtner drehte und wendete das Bilderrätsel, das Anselm Plank vor zehn Minuten in der Glocke des Doms gefunden hatte, hin und her.
»U-Bahn-Plan?«, sagte Plank immer wieder. »Aber wo gibt es hier U-Bahnen? Soviel ich weiß, hat nicht einmal Mailand eine.«
»Und Venedig erst recht nicht«, lachte Gärtner auf. »Die haben vielleicht U-Boot-Linien.«
»Ja, freilich!« Plank schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Vollkommen richtig. Wenn auch ohne U. Schiffslinien haben die doch. Vaporettos, oder wie die heißen.«
»Wenn, dann Vaporetti. Ich google mal.« Sie zog das Smartphone aus der Hosentasche und hatte keine Minute später einen Plan auf dem Bildschirm, der dem handgezeichneten auf dem von Spindler hinterlassenen Blatt mehr als ähnelte. »Ich wusste nicht, dass die sogar einen Fahrplan haben und unterschiedliche Linien. Und das in Italien …«
»Also, bitte. Die Venezianer haben ihren Laden im Griff. Das war mal eine Weltmacht. Fünfhundert Jahre lang die reichste Stadt des Abendlandes. Die sind sehr gut organisiert. Und über ganz Europa vernetzt. Die haben sogar Geheimgesandte nach ganz Europa ausgeschickt, nur um ein spezielles Mineral für ihre Glasproduktion zu organisieren: Manganoxid. Im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert.«
»Aha. Und hilft uns das hier weiter?«
»Wer weiß. Man muss alles in Betracht ziehen.« Plank war es ein bisschen peinlich, dass er wieder einmal beim Schulmeistern ertappt worden war. »Jedenfalls meint der Spindler mit dem Kreuz den Campanile des Markusdoms.«
»Wieder mal gar nicht so schwer. Nur: Was heißt dieses ›IO IO IO – Füge einen Strich hinzu und du weißt mehr über unser nächstes Treffen.‹?«
»›Io‹ ist italienisch für ›ich‹«, wusste Plank. »Aber ›Ich Ich Ich‹ ist ja nicht wirklich eine brauchbare Zeitansage.«
»Und wenn es Zahlen sind? ›Zehn Zehn Zehn‹?«, grübelte Stephanie Gärtner.
»Dann ergibts auch keinen Sinn. Und du musst ja auch noch einen Strich hinzufügen.« Er nahm einen Kugelschreiber aus der Jackentasche und kritzelte auf dem Blatt herum.
»›Let’s go‹ hat er sicher auch nicht zum Spaß hingeschrieben. Englisch – das ist doch gar nicht seine Art.«
»Dann ist es ein Hinweis, dass die Lösung auf Englisch geschrieben wird.« Plank malte Striche an alle möglichen Ecken der Zeichen.
»›Ten Ten Ten‹?«, meinte Gärtner.
»›Ten To Ten‹!«, triumphierte Plank. »Schau her!« Er malte IO To IO aufs Papier.
»Also um zehn vor zehn. Abends oder morgens?«
»Da nimmts der Engländer ja nicht so genau. Und morgens schaffen wir sowieso nicht mehr. Ist ja jetzt gerade zehn vor zehn. Also müssen wir heute Abend um zehn vor zehn am Markusplatz stehen. Und wenn dann da nichts passiert, eben morgen früh wieder und morgen Abend und so weiter …«
»Geil. Ein Venedig-Urlaub auf Staatskosten. Da nehmen wir uns aber schon ein anständiges Hotel, Anselm.«
»Klar. Die billigen sind ohnehin ausgebucht. Das spüre ich ganz deutlich im Knie. Apropos Knie: Wie gehts deinem Schenkel?«
»Muss gehen. Und wir wandern ja nicht nach Venedig, sondern nehmen uns ein Auto, oder?«
»Sind über hundert Kilometer. Da bräuchten wir vier Tage zu Fuß.«
»Nein danke. Also, auf geht’s. Oder: Let’s go, wie unser Freund Spindler sagen würde.«
Plank hielt ein Taxi an, das sie zur nächsten Europcar-Filiale in der Via Fratelli Roselli brachte. Dort liehen sie sich einen Kleinwagen und fuhren zur Autostrada A 27.
»Erzähl mir, wie wars mit den Carabinieri? Du hast gesagt, die haben dich befragt«, fand Stephanie Gärtner zielsicher ein Gesprächsthema, das Anselm Plank überhaupt nicht passte.
»Mei, er wollte halt das eine oder andere wissen, der Capitano.«
»Gehts ein klein wenig konkreter?«
»Stephanie. Du magst am Bein verletzt sein. Und unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stehen. Und du bist sauer, weil ich dir zu deinem eigenen Schutz nicht alles erzählt habe, was mir der Dr. Keil und der Theo mitgeteilt haben. Aber bitte nicht in diesem Ton. Eins ist doch wohl noch klar, oder: Ich Chef, du nix.«
»Ach Anselm, jetzt hör doch mit dem Chauvi-Getue auf. Du solltest es doch schon gelernt haben, dass ich früher oder später sowieso draufkomme, was du
Weitere Kostenlose Bücher