Die Reisen Des Paulus
Statthalter und Verwaltungsbe-amten vermochte.
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Dem Reichtum, der Macht, Oberhoheit und uneinge-
schränkten Handlungsfreiheit Roms im ersten nach-
christlichen Jahrhundert hatten nur wenige Menschen etwas entgegenzusetzen. Dumpfes Sichfügen schien das Gebot der Stunde. Die Territorien, die Hitler im 20. Jahrhundert besetzte, konnten eher Widerstand leisten, denn außer diesem Pseudoreich gab es freie Länder, die kriegstüchtig waren und über wissenschaftliche und intellektuelle Kenntnisse verfügten. Doch neben Rom existierten nur noch Wilde, Barbaren oder völlig in die Knie gezwungene Völker wie die Gallier, über die Julius Cäsar gesiegt hatte, indem er ein Blutbad nach dem anderen anrichtete. Griechenland hatte bei der Zivilisierung Roms geholfen, half nach wie vor und lehrte die grobschlächtigen Eroberer seine unvergleichliche Kultur – doch zu dieser Kultur legte der Römer nur Lippenbe-kenntnisse ab, denn sie stammte von einem Untertanenvolk.
Kleopatra, Ägyptens letzte Königin, hatte Geist und Körper eingesetzt, um ihrem Land größtmögliche Unabhängigkeit zu bewahren, doch nun lag auch Ägypten am Boden, hinters Licht geführt von kriecherischen Priestern, alexandrini-schen Griechen und römischen Beamten, die dem Volk vor-spiegelten, der herrschende Cäsar sei ein Gottkönig wie die Pharaonen. Und in diesem ungeheuren Reich widerstand nur das kleine und recht unbedeutende Ländchen Judäa un-gebrochen dem Regiment der Kaiser.
Eine erstaunliche Situation, die damit endete – was
Männern wie Tiberius und seinem Statthalter nicht deut-76
lich wurde, nicht deutlich werden konnte –, daß Rom sich Jahrhunderte später einer fremden Religion unterwarf, einer völlig ausgefallenen Ideologie, die lehrte, ein gekreuzigter Verbrecher sei mächtiger als alle Cäsaren. Es war, als würde das System unserer Welt mit den Großmächten Amerika, Rußland und China eines Tages von einem obskuren Menschen gesprengt, der eines Kapitalverbrechens wegen hingerichtet worden ist. Jesus stellte sich als Messias dar und offenbarte sich damit als Staatsfeind. Sein Anhänger der junge Paulus, löste schließlich eine Revolution aus, die alle nachfolgenden Revolutionen als relativ unbedeutend erscheinen läßt. Und überall verbreitete sich der Einfluß eines Reiches,
»das nicht von dieser Welt ist«, verbreitete sich weiter und schwerwiegender, als es die römischen Cäsaren je wissen oder ahnen konnten. Als junger Mann war Paulus sicherlich ein äußerst puritanischer Pharisäer – was angesichts der liederlichen Welt, gegen die er eines Tages antreten sollte, nicht wundernimmt. Später zeigten seine Schriften, daß er zu den größten Dichtern der Weltliteratur gehörte. Doch das lag noch in ferner Zukunft. Erst mußte er einmal lernen, und dabei hatte er die strenge Zucht auf sich zu nehmen, die das jüdische Erziehungssystem den Schülern des Gesetzes zur Pflicht machte. »Heiliger als du« – das wurde ihnen eingeschärft, und eben diese Einstellung erzürnte die Römer und Griechen so sehr. Die Griechen, das intelli-genteste und kultivierteste Volk des Mittelmeerraums, waren der Ansicht, daß sie von diesem semitischen Stamm aus der Levante, den einst ihr großer Alexander unter seine Obhut genommen hatte, nicht belehrt zu werden brauchten.
Den Ritus der Beschneidung betrachteten sie mit einer Mi-77
schung aus Erheiterung und Verachtung. Sich teilweise zu entmannen – so sahen sie es nämlich –, das schien ihnen Mal und Makel eines Volkes, das von Natur aus zu niede-rem Rang bestimmt war. Warum gingen sie den Weg nicht konsequent zu Ende und machten es so wie die Eunuchenpriester des Attis?
Doch in Wirklichkeit wurde die Beschneidung durchaus nicht nur von den Juden geübt. Das Ab- oder Einschnei-den der Vorhaut war ein bei vielen alten Völkern verbreiteter Ritus. Auch heute ist er außer bei den Juden noch bei anderen Völkern gebräuchlich. Die Ägypter kannten die Beschneidung bereits 3000 v. Chr. Möglicherweise haben die Juden sie sogar während der ägyptischen Gefangenschaft von ihnen übernommen. In Ägypten pflegte man die Jungen während oder kurz vor der Pubertät zu beschneiden.
Dazu schreibt Frater Roland de Vaux in Ancient Israel : »Ursprünglich scheint die Beschneidung allgemein ein Initiati-onsritus vor der Ehe gewesen zu sein. Daher führte sie den Mann auch in das Gemeinschaftsleben des Familienver-bandes ein. Dies gilt
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