Die Reisen Des Paulus
schließlich mit seinen absurden Ansichten – über die zu diskutieren sich nicht lohnte – einfach stehen ließen.
Doch das lag noch in der Zukunft. Wo immer Paulus
sich zur Zeit der Kreuzigung aufhielt, er muß gehört haben, daß die Anhänger des Jeschua überall verkündeten, sie hätten den Mann tatsächlich gesehen und sogar gesprochen. Vielleicht war er, bevor er starb, vom Kreuz abgenommen worden? Solche Fälle waren nicht ungewöhnlich. Wenn ein römischer Statthalter oder Eroberer sich gnädig erweisen wollte, ließ er die Delinquenten manchmal am Kreuz hängen, bis er sie als genügend bestraft erachtete, und gab sie dann frei. Er wußte genau, daß die Delinquenten, selbst wenn sie sich jemals wieder vollständig erholten, nach so viel Pein nie mehr Schwierigkeiten machen würden. Der Kreuzestod war langsam und qualvoll. Die Verurteilten vegetierten oft noch ta-gelang dahin. Als Julius Cäsar Piraten zum Tode verurteilte, die ihn einmal gefangengenommen hatten, hielt er es für eine Gnade, daß er ihnen die Kehle aufschlitzen ließ. Paulus hat gewiß von den Kreuzigungen gehört, vielleicht hat er auch welche gesehen. Jedenfalls kannte man diese Hinrichtungs-art im Osten, lange bevor die Römer kamen. Die Phönizier und Karthager kreuzigten sowohl, um Verbrecher zu bestrafen, als auch, um ihrem höchsten Gott, dem Baal, ein Opfer darzubringen. So ließ der karthagische General Malcus, der sich eine besondere Gunst erbitten wollte, seinen Sohn Cartalo in königliche Gewänder hüllen, ihm eine Krone aufs Haupt setzen und ihn dem Baal opfern.
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Die einfachste und vermutlich älteste Form des Kreuzes (der römischen crux ) war ein Pfahl. Der Verurteilte blieb entweder daran festgebunden, bis er starb, oder er wurde darauf aufgespießt (Pfählung). Meist wurde am Pfahl ein Querbalken ( patibulum ) befestigt. Daran band man die Arme oder nagelte man die Hände des Delinquenten, oder beides. Es gab drei Varianten des Kreuzes: der Querbalken war in horizontaler Lage unter dem höchsten Punkt des Pfahls ( crux immissa ) oder auf dem höchsten Punkt des Pfahls angebracht ( crux commissa ) oder Pfahl und Querbalken waren gleich lang und lagen schräg ( crux decussata ) .
Der römische Offizier, der die Hinrichtung leitete, ließ normalerweise Namen und Vergehen des Verurteilten verlesen oder auf eine Tafel ( album ) schreiben, die am Kreuz befestigt wurde.
Paulus muß das alles gewußt haben. Auch dürfte ihm
die schmachvolle, entehrende Inschrift zu Ohren gekommen sein, die besagte, Jeschua sei der Judenkönig gewesen und darum hingerichtet worden. Beleidigung über Beleidigung! Und nun behaupteten seine kläglichen Anhänger, er sei der Messias und von den Toten auferstanden. Es waren einfache Leute, wie er gehört hatte, der Abschaum von Galiläa, gewöhnliches Pack, primitive, abergläubische, ungebildete Bauern. Kein wahrer Pharisäer, kein Mann von Geist konnte solchen Menschen verzeihen, die Schande über das jüdische Volk gebracht hatten, indem sie diesen Verrückten unterstützten.
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F – S
Messianische Bewegungen der Vergangenheit, die dar-
auf abgezielt hatten, Israel vom römischen Joch zu
befreien, waren nach ihrem Scheitern schnell in Verges-senheit geraten. Die neue hingegen breitete sich aus. Verstärkt wurde sie dadurch, daß die galiläischen Anhänger Jeschuas steif und fest behaupteten, sie hätten nicht nur das versiegelte Grab leer vorgefunden, sondern den Gekreuzigten auch gesehen. Für die Juden und Heiden war das Geheimnis um den verschwundenen Leichnam schnell gelöst.
Einige seiner Leute, die in ihrer Einfalt all das wortwörtlich glaubten, was er über die Auferstehungen gesagt hatte, muß-
ten den Toten über Nacht gestohlen haben. Als schwieriger erwies es sich, der zweiten Behauptung entgegenzuwirken.
Sie waren so restlos davon überzeugt, ihn gesehen zu haben, daß sie sich nicht etwa angstvoll in ihre Heimatdörfer ver-krochen, sondern in Jerusalem öffentlich verkündeten, er sei von den Toten auferstanden.
Juden und Römer wären froh gewesen, wenn diese Leu-
te ihrer Wege gegangen und auf Nimmerwiedersehen verschwunden wären. Die Sadduzäer und die Verwalter des Tempels (die auf einen gewissen modus vivendi mit den Rö-
mern bedacht sein mußten) fürchteten, es könne eine noch größere Verwirrung entstehen. Spätere Kommentatoren
sind mit den Sadduzäern hart ins Gericht gegangen, aber sie waren gewiß keine
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