Die Reisen Des Paulus
K
In Paphos fanden die drei Reisenden ein Kauffahrtei-
schiff nach Pamphylien, einer Landschaft in Kleinasien, die etwa 150 Meilen übers Meer entfernt war. Es wird zwar nirgendwo erwähnt, wie lange sie auf Zypern blieben, aber man darf annehmen, daß sie im Frühling dort eintrafen, einige Zeit in Salamis verbrachten, dann an der Südküste entlang den Weg nach Paphos machten, wo sie ebenfalls eine Weile blieben. Mittlerweile dürfte es Frühsommer gewesen sein. Eine gute Zeit für angenehmes Reisen – die Winde wehten vor allem von Westen, strichen an Rhodos vorbei und auf die Provinz Lycien zu; und so hatten die Schiffe Wind von achtern bis in die Bucht, an der Attalia, der wichtigste Hafen dieser Provinz, lag. Sie blieben aber nicht dort, sondern fuhren weiter nach Osten, den Cestrus flußaufwärts bis zu dem zwölf Kilometer entfernten kleinen Hafen Perge. Heute ist der Fluß versandet, der Ort ein Ruinen-feld, damals aber war Perge ein Hauptumschlagsplatz für den Handel zwischen den Griechen und den Einwohnern
aus dem Landesinnern. Soviel man weiß, kam Paulus jetzt zum ersten Mal in seinem Leben mit einer Kultur in Be-rührung, die nicht in erster Linie von den Griechen geprägt war. Die Pamphylier waren ein Mischvolk aus Ureinwohnern, Ciliciern und griechischen Kolonisten. Ihre Sprache, die möglicherweise griechische Wurzeln hatte, war von bar-barischen Elementen verfälscht und entstellt. Keine guten Voraussetzungen für die Verkündigung des Evangeliums, möchte man meinen … Außerdem lastete die Sommerhitze 181
drückend über der pamphylischen Ebene, und die gesamte Region, vom Taurusgebirge eingeschlossen, glich einer riesigen Bratpfanne. Zudem war das Flachland, in dem noch überall Brackwassertümpel von der Frühjahrsüberschwem-mung standen, eine Brutstätte für die Anophelesmücke, die die Malaria überträgt.
Paulus war nun Mitte oder Ende Vierzig, heute nichts Außergewöhnliches, im 1. Jahrhundert jedoch – und zumal für einen Mann, der ein so hartes Leben führte – fast schon der Beginn des Alters. Und trotzdem wollte er mit einer Karawane durchs Taurusgebirge ziehen. Sein Ziel war Antiochien in Pisidien. Selbst für einen gesunden jungen Mann wäre diese Reise nicht eben verlockend gewesen, und Paulus wurde obendrein während des Aufenthalts in Perge krank. Berge von Papier sind aufgebraucht worden, wahre Ströme von Tinte geflossen, um die Frage zu klären, welcher Art das geheimnisvolle Gebrechen war, das Paulus selbst den »Pfahl (Stachel) ins Fleisch« nennt. Hatte er wie Julius Cäsar mit wachsendem Alter mehr epileptische An-fälle? Das ist recht wahrscheinlich, und die hochsommerliche Hitze und das entnervende Klima Pamphyliens dürften kaum zur Besserung seines Gesundheitszustandes beigetragen haben. Einige Experten, besonders Sir William Ramsay, plädieren dafür, daß periodisch wiederkehrende Malariaanfälle die Krankheit Paulus’ waren, die er selbst im zweiten Korintherbrief als »Satans Engel« bezeichnet, der ihn »mit Fäusten schlage«.
So kann man Malariaanfälle durchaus beschreiben. Sie strecken den Betroffenen völlig unerwartet und auf höchst unangenehme Weise aufs Krankenlager nieder. Doch fas-182
sen wir noch eine andere Möglichkeit ins Auge: den epileptischen Anfall. Er ist äußerst beängstigend; oft geht ihm ein lauter Schrei vor aus. Danach, so J. A. C. Brown, »verfällt die gesamte Muskulatur in krampfartige Zuckungen
… nach etwa einer halben Minute folgt auf diese ›tonische‹
Phase eine ›klonische‹ Phase, in der sich die Gliedmaßen rhythmisch zusammenziehen und wieder entspannen, in
der es zur unwillentlichen Blasen- oder Darmentleerung kommen und der Patient sich auf die Zunge beißen kann, bis die Kontraktionen allmählich nachlassen und der Patient eine Zeitlang – die Dauer variiert – schweratmend und bewußtlos liegenbleibt«. Wie wir bereits erwähnten, sehen christliche Historiker sowie Kleriker Paulus meist höchst ungern als Epileptiker an, vielleicht weil sie finden, diese Krankheit sei etwas Schmachvolles und entwerte gewissermaßen sein Leben, seine Arbeit und seine Schriften. Das ist einfach nicht wahr – und wo könnte man eine bessere Beschreibung von Paulus finden als die bereits zitierte Charakterisierung des epileptischen Charakters mit den Merkmalen Gewalttätigkeit, Mystizismus, Impulsivität und Verfolgungsideen? Gewiß geschah etwas Seltsames in Perge, das Johannes Markus dazu
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